1. August 2022

F-35: Tarnkappen-Atombomber sichert Milliardenprofite

Von Tilo Gräser

100 Milliarden Euro soll die Bundeswehr in den nächsten zwei Jahren zusätzlich bekommen. Das kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz im Februar dieses Jahres an – inzwischen von einer Bundestagsmehrheit mit einer Grundgesetzänderung bestätigt. Was geschieht mit dem Geld? Ein Beispiel.

Eine F-35 auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) 2018 bei Berlin (Fotos: Tilo Gräser)

Ab 2026 soll die Bundeswehr 35 Exemplare des sogenannten Tarnkappenjets F-35 aus der US-Rüstungsschmiede Lockheed Martin bekommen, neben 15 modernisierten „Eurofightern“. Das verkündete die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP im März dieses Jahres.

Nach US-Angaben kostet eine F-35 in der Normal-Variante – es gibt sie auch für Flugzeugträger und als Senkrechtstarter – derzeit etwas über 80 Millionen Dollar. Das sind aktuell etwa 77 Millionen Euro und wären für 35 Jets 2,7 Milliarden Euro. „Üblicherweise wird dabei aber gleich noch eine Art kostspieliges Servicepaket dazu gebucht“, schrieb Jürgen Wagner von der „Informationsstelle Militarisierung“ (IMI) am 16. März dieses Jahres. Im Fall der 32 Exemplare der F-35 für Polen sei der Gesamtpreis auf insgesamt 4,6 Mrd. Dollar oder 143 Mio. pro Einheit gestiegen.

Die Regierung unter Angela Merkel (CDU) und mit Scholz als Finanzminister verzichtete 2019 noch auf den Kauf. Trotz massiver Werbung von Lockheed Martin und politischer Lobbyarbeit sollten etwas kostengünstigere Kampfjets F-18 vom US-Konzern Boeing und „Eurofighter“ von Airbus gekauft werden. Doch das wurde nun korrigiert – zur Freude von Militärs, Lockheed Martin und der mit dem Konzern verbundenen Politiker.

Langgehegte Wünsche

Wozu soll der Kauf eines Kampfflugzeuges der sogenannten 5. Generation gut sein, das selbst im Herkunftsland als nicht notwendig angesehen wird? Laut „New York Times“ vom 12. März 2021 bezeichnete Adam Smith, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des US-Repräsentantenhauses, in einem Interview den F-35-Kampfjet als „Rattenloch“, das Geld verschlinge. Im Februar 2021 sagte laut dem Blatt der Stabschef der US-Air Force, General Charles Brown Jr., die F-35 solle der „Ferrari der Luftwaffe“ werden: „Man fährt ihn nur sonntags.“

Scholz und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht begründeten ihre Entscheidung nun mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Damit hat das natürlich wenig zu tun. Das zeigt schon der Blick auf die gesamten nun beschlossenen 100 Milliarden Euro „Sondervermögen“ für die Bundeswehr.

Über die Idee dazu sei im Verteidigungsministerium „schon länger diskutiert“ worden, berichtete im März „Spiegel online“. In einem vertraulichen Argumentationspapier vom 26. Oktober 2021 sei bereits ein „Sondervermögen Bundeswehr“ von 102 Milliarden Euro vorgeschlagen worden. In der Liste der angeblich notwendigen neuen Waffen und Ausrüstungen war auch die F-35 zu finden.

Klarer Auftrag

Wie 2022 kamen schon 2018 zwei F-35-Jets zu Werbezwecken zur ILA bei Berlin. Damals blieben sie noch im Regen stehen ...

Im Herbst 2021 fehlte noch der richtige Anlass, um die zusätzlichen Rüstungsmilliarden gegenüber der Bevölkerung begründen zu können. Der scheint nun mit dem russischen „Angriff auf die freie Welt“ gefunden zu sein. Doch auch das ist eigentlich nichts Neues, wie der Blick darauf zeigt, wozu die erstmals 2006 gestartete F-35 gut sein soll. Laut „New York Times“ dient sie von Anfang an der „Abschreckung gegen ein wiedererstarktes Russland und ein aufstrebendes China“.

Das hat die Schweizer Initiative „Stop F-35“ so übersetzt: Der Jet „wurde einzig und allein für Angriffskriege entwickelt. Für luftpolizeiliche Einsätze ist der Tarnkappenbomber massiv überdimensioniert und ungeeignet.“ Die Initiative will verhindern, dass die Alpenrepublik ebenfalls 36 Exemplare des „massiv überteuerten, überdimensionierten Luxus-​Spielzeugs für ein paar Armeeoffiziere“ anschafft. Das hatte der Schweizer Bundesrat im Juni 2021 beschlossen.

Der Kampfjet sei „für die deutsche Sicherheitspolitik überdimensioniert“, erklärte die „Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“ (DFG-VK) am 14. März dieses Jahres. Die bei der F-35 verwendete „Stealth“- bzw. „Tarnkappen“-Technologie sei nur erforderlich, „wenn man aktiv in fremden Luftraum eindringen möchte“. Und die DFG-VK fragt: „Ist es für Bundesregierung tatsächlich ein realistisches Szenario, Atombomben auf Kaliningrad, Sankt Petersburg oder Moskau abzuwerfen zu lassen?“

Mit Tarnkappe gegen Russland

Denn die neuen US-Jets sollen die bisherigen „Tornado“-Atombomber der Bundeswehr ersetzen. Diese haben ihre Nutzungsdauer erreicht und sollen 2025 ausgemustert werden. Diese „Tornados“ des „Taktischen Luftwaffengeschwaders 33“ auf dem Stützpunkt Büchel bei Cochem sind Teil des Nato-Konzepts der „nuklearen Teilhabe“. Sie sollen im Nato-Kriegsfall US-Atombomben des Typs B61, ebenfalls in Büchel stationiert, auf US-Befehl auf Ziele im Osten abwerfen.

Das wird dann Aufgabe der F-35 mit Balkenkreuz werden, so die Bundesregierung. Denn: „Der Tornado ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit, nicht überlebensfähig gegen moderne Luftverteidigung – wie etwa jene Russlands in Kaliningrad.“ Das hatte der FDP-Bundestagsabgeordnete Marcus Faber bereits im Januar 2019 auf „Zeit online“ erklärt und gefordert: „Tarnkappenbomber kaufen!“

2013 hatte noch eine Große Anfrage der SPD-Bundestagfraktion an die Regierung gewarnt, der Tarnkappenbomber F-35 stelle ein neues Trägersystem für Atomwaffen dar, „was aus russischer Sicht eine neuartige militärische Kapazität darstellen dürfte. Dies wäre in Europa die erste umfangreichere nukleare Modernisierungsmaßnahme seit dem Ende des Kalten Krieges und sicherheitspolitisch problematisch, da die NATO mit ihr signalisieren würde, noch auf Jahrzehnte Nuklearwaffen der USA in Europa stationieren zu wollen.“

Unausgereifter „Schrottflieger“?

Bleibt außerdem die Frage: Ist das Geld dafür – rein sachlich gesehen – sinnvoll ausgegeben? Handelt es sich um ein dem Preis entsprechend sehr gutes und funktionierendes Produkt? Auch daran gibt es erhebliche Zweifel, die selbst in den USA und nicht nur bei Rüstungsgegnern laut geworden sind.

Die Entwicklung der F-35 „verschlang horrende Summen, ihre Wartung ist zu teuer, ihre Triebwerke verschleißen zu früh, und auch sonst ist der modernste Kampfjet made in USA längst noch nicht frei von Mängeln und Kinderkrankheiten“. Das war Anfang April in der Onlineausgabe des Fachmagazins „Flugrevue“ zu lesen. Die Tageszeitung „Die Welt“ hatte kurz zuvor sogar besorgt gefragt, ob es sich um einen „Schrottflieger“ handelt, der da für die Bundeswehr bestellt wurde.

Wird der mit Elektronik vollgestopfte Jet im Ernstfall von innen oder von außen lahmgelegt?

Das Blatt verwies auf einen Geheimbericht des US-Kriegsministeriums Pentagon. Danach ist die F-35 laut „Welt“ „noch nicht fertig entwickelt und erweist sich beim Erstkunden USA als deutlich unzuverlässiger als von Lockheed Martin beworben“. Der von einer US-Organisation öffentlich gemachte Pentagon-Prüfbericht liste nicht weniger als 845 Fehler beim Tarnkappen-Atombomber auf.

Sechs davon werden laut „Flugrevue“ (Ausgabe Mai 2022) sogar als schwerwiegend (Kategorie I) eingestuft. Das reicht von „unausgereifter, mangelhafter und unzureichend getesteter Software für Missionssysteme“ – der Jet ist mit Computern vollgestopft – über das als störanfällig geltende Triebwerk bis hin zu einem höheren und teureren Wartungsaufwand als versprochen sowie mangelnder Zuverlässigkeit der Jets.

Sicheres Milliarden-Geschäft

So seien diejenigen der US-Streitkräfte 2021 nur zu 61 Prozent tatsächlich verfügbar gewesen. Die Gesamtzahl der Mängel habe sich nach Abschluss der offiziellen F-35-Entwicklungsphase „nicht wesentlich verringert“, so das Fachmagazin. Die US-Organisation „Project On Government Oversight”, eine Art inoffizieller Bundesrechnungshof, stellte in ihrer Analyse dazu fest: „Mehr als zwanzig Jahre nach der Entwicklung der F-35 ist das Flugzeug in praktischer und rechtlicher Hinsicht immer noch nicht mehr als ein sehr teurer Prototyp.“

„Eines aber ist die Lockheed Martin F-35 trotzdem schon jetzt: ein Jahrhundertgeschäft“, bemerkte die „Flugrevue“. „Auf absehbare Zeit wird sie das Standard-Kampflugzeug zahlreicher Nato-Staaten und verbündeter Nationen sein – oder ist es bereits jetzt schon.“ Insgesamt 3.238 Exemplare sollen an 14 Länder verkauft werden, so das Magazin, das im Mai in seiner Druckausgabe außerdem feststellte, „das F-35-Programm ist einfach viel zu groß, um gestoppt zu werden“.

Nebenbei bemerkt: Das erinnert an die Pharma-Industrie, die dank der Covid-19-Pandemie erfolgreich Milliarden-Profite macht – indem mit Hilfe von Politik und Medien nicht ausgereifte, experimentelle Stoffe den Menschen per Spritze verabreicht werden. Auch hier werden bisherige Regeln außer Kraft gesetzt und warnende Stimmen ignoriert.

Bedrohte Souveränität

Kritiker weisen auf eine weitere Gefahr durch den „Tarnkappen“-Jet hin: Laut Experten bedroht der nicht weniger als die nationale Souveränität der Länder, die das US-Flugzeug kaufen. „Die USA behalten immer Kontrolle über die von ihnen verkauften Jets“, stellt die DFG-VK fest. Die Schweizer Jet-Gegner schreiben: „In Zukunft wird der US-​Geheimdienst immer mit im F-35-​Cockpit sitzen.“ Noch deutlicher formulierte das die Schweizer Nationalrätin und Sicherheitspolitikerin Priska Seiler Graf (SP): „Die USA können unsere Jets auf Knopfdruck vom Himmel holen. Oder uns nicht starten lassen, wenn sie es nicht wollen.“

Darauf hatte der Journalist Roger Näbig im September 2018 auf dem Schweizer Online-Militär-Portal „offiziere.ch“ aufmerksam gemacht: Die Missionsdaten aller F-35, auch die von Käufern außerhalb der USA, werden online nach Fort Worth in Texas geschickt und an Lockheed Martin weiterleitet. Das System – anfangs „Alis“, das 2020 wegen zu vieler Fehler durch das ebenfalls weiter fehlerhafte „Odin“ ausgetauscht wurde – übermittle selbst nach Auffassung einiger Partnerländer „zu viele operative Daten nach jedem Flug einer F-35 an die U.S. Army sowie an die nichtstaatliche Herstellerfirma Lockheed-Martin und verletzt damit die Souveränität der am Projekt beteiligten Länder“.

Das entsprechende Netzwerk gewähre den USA „bei Bedarf aber auch eine aktive Kontrolle über die bei den Partnerländern stationierten F-35 mit Hilfe der Verteilung von Updates und Patches der internen wie externen F-35-Software“, so Näbig. Es könnte von den USA zudem als „trojanisches Pferd“ genutzt werden, um darüber Schadsoftware in die Jets von missliebig gewordenen Partnerländern einzuspielen und diese damit lahmzulegen. „Kriegerträume werden wahr“, kommentierte die Tageszeitung „junge Welt“ am 15. März die Entscheidung der Bundesregierung.

Gegen die Atombomber gibt es Protest, hier am 2. Juli 2022 in Berlin bei der Friedensdemonstration auf dem Bebelplatz.

Unterdessen formiert sich wie in der Schweiz auch in der Bundesrepublik Widerstand gegen die Atombomber mit „Tarnkappe“. „F-35-Jet verhindern!“, fordern die Kriegsgegner der DFG-VK. „Atombomber, Nein Danke“ heißt eine Kampagne der „Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen“ (ICAN) Deutschland in Zusammenarbeit mit der „Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzt*innen in sozialer Verantwortung“ (IPPNW) und der Kampagne „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt“.

Dieser Beitrag erschien in redaktionell bearbeiteter Form in Ausgabe 4/22 des Magazins (S. 25 - 27).