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Stuttgart: Wirbel um Zwangsimpfung von 85-jähriger Ukrainerin


Wirbel um Zwangsimpfung von 85-jähriger Ukrainerin

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Von Michael Ströbel

Aktualisiert am 16.01.2023Lesedauer: 4 Min.
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Wirbel um eine vom Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt angeordnete Impfung (Symbolbild): Das von dem Betreuungsgericht gefällte Urteil überrascht auch Experten. (Quelle: IMAGO/federica_favara)

Eine 85-jährige Ukrainerin soll gegen ihren erklärten Willen geimpft werden. "Querdenker" bringen verstecken – und riskieren möglicherweise ihr Leben.

Die 85-jährige Ukrainerin Inna Z. soll in eine geschlossene psychiatrische Anstalt eingeliefert und vorher zwangsweise geimpft werden. So hat es das Amtsgericht in Stuttgart-Bad Cannstatt entschieden. Der Vorgang ruft im Internet zahlreiche "Querdenker" auf den Plan, die schließlich die Frau sogar verstecken – oder sollte man sagen: entführen? Problematisch ist jedenfalls einiges an dem Fall.

Ein weiteres großes Problem ist, dass "Querdenker" die Geschichte der ukrainischstämmigen Jüdin Inna Z. nutzen, um Vergleiche mit dem Holocaust und mit Auschwitz-Arzt Josef Mengele zu ziehen. Problematisch ist auch, dass die "Querdenker" mit dem "Verstecken" die Gesundheit der 85-Jährigen riskieren.

Inna Z. leidet unter schweren Krankheiten

Der ungewöhnliche Ausgangspunkt dieser Geschichte ist, dass ein Gericht entscheidet, Inna Z. gegen ihren erklärten Willen nicht nur einweisen, sondern auch impfen zu lassen. Inna Z. leidet unter schweren psychischen Problemen, die unter anderem ein gestörtes Sozialverhalten und Aggressivität umfassen. Das geht aus dem Beschluss des Bertreuungsgerichts des Amtsgerichts in Stuttgart-Bad Cannstatt hervor, der t-online vorliegt. Erschwert wird dies durch weitere massive gesundheitliche Beschwerden.

Wohl auch aufgrund dieser Erkrankungen hat die 85-Jährige eine sogenannte Berufsbetreuerin. Sie ist es, die vor dem Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt die Einweisung von Inna Z. in eine geschlossene Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses beantragt hat – und die Grundimmunisierung ihrer Klientin gegen das Coronavirus. Beidem hat das Amtsgericht mit einem Beschluss vom 6. Dezember 2022 stattgegeben.

Das sei ein bemerkenswerter und unüblicher Vorgang, sagt Andrea Schwin-Haumesser. Die Esslingerin ist Vorstandsmitglied des Bundesverbands der Berufsbetreuer/innen e.V. "Wir haben als Verband ganz klar Stellung bezogen, dass wir eine Zwangsimpfung gegen Corona für nicht notwendig erachten", sagt sie im Gespräch mit t-online. Auch aus Sicht des Krankenhauses Bad Cannstatt, einer psychiatrischen Klinik, sei eine Impfung für eine Einweisung nicht relevant, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilte.

Vorgehen rechtlich korrekt

Dennoch sei die Berufsbetreuerin aus rechtlicher Sicht die richtigen Schritte gegangen: "Eingriffe in Grundrechte müssen immer von Richtern entschieden werden, und das ist in dem Fall offensichtlich geschehen", sagt Schwin-Haumesser.

Das sei jedoch nur dann angezeigt, "wenn der Mensch sich nicht mehr selbst schützen kann und nicht mehr einschätzen kann, was gut und wichtig für ihn ist". Das könne auch Schutzmaßnahmen umfassen wie eine Einweisung in eine Klinik, "die aber nur die Ultima ratio sind". Eine Impfung sei nach Ansicht des Bundesverbands für Berufsbetreuer jedoch ganz klar davon ausgeschlossen.

Die Berufsbetreuerin von Inna Z. ist mutmaßlich kein Mitglied im Bundesverband und wollte sich gegenüber t-online mit Verweis auf den Datenschutz nicht zu dem Fall äußern. Die genauen Hintergründe, weshalb sie die Impfung gegen den Willen ihrer Klientin beantragt hat, bleiben also unklar. Ebenso die Beweggründe, weshalb das Amtsgericht dem stattgegeben hat.

"Querdenker" verstecken Patientin

Der Fall machte in diversen Internetportalen und vor allem in "Querdenker"-Telegram-Gruppen die Runde. Schließlich entschied sich eine Gruppe von "Querdenkern" aus dem Raum Stuttgart, die 85-jährige Schwerkranke "in Sicherheit zu bringen". Am Mittwoch, dem 11. Januar, hätte sie geimpft werden sollen. Doch an ihrem Wohnort konnte die Polizei niemanden auffinden, weshalb die Beamten unverrichteter Dinge von dannen zogen.

Wo die Frau versteckt wird, inwiefern sie damit einverstanden war – und in der Lage ist, eine solche Entscheidung überhaupt eigenständig zu treffen – oder ob sie entführt wurde, ist unklar. Laut dem Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt könne daher auch nicht gesagt werden, ob ein strafbares Verhalten vorliege, so eine Sprecherin.

Andrea Schwin-Haumesser findet das "hochgefährlich und höchst problematisch", da die Frau aufgrund ihrer Gesundheitsprobleme auf professionelle Behandlung angewiesen sei. Die "Vorstellung vom bösen Staat, der Menschen drangsaliert" werde von "Querdenkern" gerne aufgegriffen, sagt die Berufsbetreuerin. Allerdings sei alles juristisch streng geregelt und mit hohen Hürden versehen. So seien für eine so weitreichende Entscheidung zahlreiche Untersuchungen und Gutachten nötig – und eben eine Gerichtsverhandlung.

In zahlreichen Beiträgen und Artikeln auf fragwürdigen Internetplattformen wird vor allem ihre jüdische Religionszugehörigkeit instrumentalisiert. Dass "ausgerechnet eine Holocaust-Überlebende" zwangsgeimpft werden solle, entsetzt viele. Vergleiche zur Shoah und zu den Zwangsmaßnahmen in Konzentrationslagern werden gezogen. Selbst Vergleiche mit SS-Arzt Josef Mengele werden gezogen. Sich selbst wähnen diese Personen damit auf einer Stufe mit den Widerstandskämpfern während des Nationalsozialismus. Dabei wird durch solche Vergleiche der Holocaust nur verharmlost.

Anwalt erreicht Teilerfolg vor dem Landgericht Stuttgart

Dass Deutschland ein Rechtsstaat und absolut nicht mit der NS-Zeit zu vergleichen ist, verdeutlicht die Entscheidung des Landgerichts Stuttgart. Vor dieser nächsthöheren Instanz hat inzwischen der Anwalt von Inna Z., der Hanauer Holger Fischer, Beschwerde gegen das Urteil eingelegt. Fischer ist auch aus der "Querdenker"-Szene bekannt.

Diese Beschwerde hat zwar keine aufschiebende Wirkung für die bis 16. Januar gerichtlich angeordnete Vollstreckung. Allerdings hat er mit einem Eilantrag erreicht, dass die Zwangsimpfung bis zur endgültigen Entscheidung in der Sache ausgesetzt wird. Das Amtsgericht Stuttgart bestätigte das t-online.

Das bedeutet: "Die Betroffene darf bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens nicht zwangsgeimpft werden, kann aber weiter sofort in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden", schreibt er in seinem Telegramkanal. Er wolle auch ein Konzept erarbeiten, "wie die Betroffene adäquat in ihrer Wohnung versorgt werden kann", so Fischer weiter.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Recherchen auf Twitter
  • Telegram-Kanal "Holger Fischer Rechtsanwalt"
  • Schriftliche Anfrage beim Landgericht Stuttgart
  • Schriftliche Anfrage beim Amtsgericht Stuttgart
  • Telefonat mit der Pressestelle des Krankenhaus Bad Cannstatt
  • Telefonat mit dem Bundesverband der Berufsbetreuer/innen
  • Telefonat mit der Berufsbetreuerin von Inna Z.
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