„Nationaler Sozialist ergriff die Macht“ und produzierte „Läusegift“
Nazi-Brainwashing seit 90 Jahren
Von Diether Dehm
Adolf Hitler ergriff am 30. Januar 1933 keine Macht. Er bekam sie übertragen. Durch Paul von Hindenburg. Dem das reaktionärste deutsche Monopolkapital am 19. November 1932 den Auftrag dazu erteilt hatte: als „Industriellen-Eingabe“, wie Thyssen, Flick, Hugenberg & Co. feinsinnig getitelt hatten. Knallhart. Mit einem: „Aber Dalli, Herr Reichspräsident!“ Denn 13 Tage zuvor hatten die Faschisten bei der Reichstagswahl über zwei Millionen Stimmen verloren, davon – neben Nichtwählern – 700.000 Stimmen an die KPD. Die war nach ihrer „Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“ endlich nationaldemokratischer geworden.
Der süße Nazi-Traum der Schwerindustriellen war kurz vorm Zerplatzen. Also mussten vorhandene Vorbehalte gegen Hitler dort schnellstens ausgeräumt werden. Nicht, weil irgendjemand von denen ein besonderer Demokrat gewesen wäre. Sondern weil Krupp & Co. noch vom Kaiser träumten. Das änderte sich am 4. Januar 1933 mit dem Treffen im Bankhaus Deutz/von Schröder, wo sich Hitler „wirtschaftlich als Liberaler“ outen und so Großbankiers für sich begeistern durfte. Die Zerstörer von Liberalität – besonders von Freiheiten für die zwei unteren Bevölkerungsdrittel – waren stets „wirtschaftlich Liberale“. Solange der Staat ihre marktliberalen Abenteuer absicherte. Mit Steuermilliarden. Von Kanzlern wie Papen, Brüning, Hitler, Adenauer bis heute.
Dem mächtigen petrochemischen Großkapital, namentlich den „IG Farben“, war gerade ihre Hausbank „Danat“ zusammengebrochen. Zudem mussten 1932 ihre Investments in synthetisches Benzin, dessen Liter 30 Pfennige kostete, plötzlich aussichtslos mit Erdölbenzin (zu nur 4 Pfennigen) konkurrieren. So war also zunächst nur die Gruppe von Kohle-Stahl-Monopolen konsolidiert genug, durch Hitler die „Macht zu ergreifen“. Immer gegen die organisierte Arbeiterklasse. Aber eben auch gegen alle anderen geschwächten Kapitalgruppen. Denn trotz ihrer mittelschichtigen Basis und Rhetorik regierten die Nazis meist mittelstandsfeindlich. „DIE Unternehmer“ in toto für Hitler verantwortlich zu machen, ist so demagogisch, wie das deutsche Volk in Kollektivschuld zu nehmen.
Aufhaltsamer Aufstieg
Tatsächlich gab es bis 1933 immer wieder Optionen, Hitler, Weltkrieg, Shoa und das Zertrümmern deutscher Nation zu verhindern. Vom „Aufhaltsamen Aufstieg des Arturo Ui“ schrieb Brecht darum. Dafür aber hätten die Allermeisten, die später in den Baracken von Buchenwald zusammengepeitscht werden sollten, über alle sozialen Schichtgrenzen und deren Politiken hinweg, enorme Kröten schlucken müssen. Womöglich sogar Reichskanzler Kurt von Schleicher. Der für ein Bündnis gegen die Nazis gelockt hatte: mit schärferen Bandagen gegen einzelne Großkonzerne, mit höheren Reichensteuern und gemeinsamen Manövern mit der Roten Armee.
Alle, die von rechts und links für eine solche „Querfront“ gegen Hitler geworben hatten, starben bald darauf eines unnatürlichen Todes. Erst 1945 wurde Deutschland vom Faschismus befreit. Und zwar von einer „Querfront“, die Arbeiterklasse und „Klassenfeinde“, Mittelschichten, Rassisten und Antirassisten einbezog; von Churchill, Roosevelt bis Stalin befeuert. Die „die Alliierten“ hieß. Ein kolossal breites Bündnis! Wie es bereits Mao mit Tschiang Kai-schek im „Kuomintang“ gegen die japanischen Besatzer Chinas gelungen war. Antiimperialistische Bündniserfolge hängen nämlich nie vom Geschmack der Partner ab, sondern von der Stärke des Hauptfeinds – der damals der deutsche Faschismus war und später der US-Imperialismus.
Wenn heute die Medien von ZDF über „taz“ und „Spiegel“ bis „Bild“-Zeitung auf „Querfront“ eindreschen, ist zumeist „Volksfront“ gemeint. Domenico Losurdo schrieb 2016 in seinem Buch über kolonialistischen Imperialismus von einer entstehenden Völkerfront des „globalen Südens“ von Indien, Russland, Iran bis China (nun auch Brasilien) – die aber auch zunächst mit „rechts“ und „links“ wenig zu tun hat.
Unbestrafte Profiteure
Am 30. Januar 1933 hatte sich das imperialistischste Finanzkapital mit ihrem Hitler durchgesetzt. Es durfte von ihm nicht nur Feldzüge gegen die französischen und spanischen Volksfronten, gegen den „Kulturbolschewismus“ (Thyssen), sondern vor allem gegen die Sowjetunion erwarten – und natürlich „die Befreiung der Ukraine vom Stalinismus“.
Das hatte Hermann-Josef Abs (Deutsche Bank) vor NS-Wirtschaftsführern mehrfach, vor allem im Oktober 1940, unter solch strengvertraulichen Titeln wie „Aktive Kapitalpolitik“ oder „Saldo Clearing“ nüchtern vorgerechnet (siehe Reinhard Opitz: „Europastrategien des Kapitals“, 1994, S. 794-803, 859): Sämtlich aufgelaufene Staatsschulden für die Aufrüstungsorgien zweier Weltkriege seien mit einem einzigen Feldzug zu tilgen.
Ahnte der schlaue Kalkulierer Abs damals schon, dass sein Bankhaus sogar nach einem gescheiterten Überfall auf die Sowjetunion bald wieder in feinem Zwirn aus dem Schneider kommen, solange nur die Volksfront in einem neutralen Deutschland verhindert würde? Damit beschäftigt sich mein Dokumentar-Stück „Abs“, das im November 2021 im Frankfurter Saal der Auschwitz-Prozesse vom „Freiem Schauspiel-Ensemble“ mit Hannes Jaennicke, Peter Sodann und Michael Letz sowie mit Musik des Komponisten Jossi Mar Chaim (Tel Aviv) uraufgeführt wurde (siehe https://youtu.be/w_AT02Ch0LA).
Die Sowjetunion hat sich von ihren 27 Millionen Toten, vom Abschlachten, Brandschatzen und dem Totgerüstetwerden nie mehr richtig erholt. Aber die Deutsche Bank hat mit Zwangsarbeit und Judengold, mit ihrem Bau-Kredit für Auschwitz ihr Kapital vermehrt. Sogar mit Gas-Verkäufen. Nebenbei: Wer heute, scheinbar naiv wie „unsere Mediensprecher*innen" von „dem Nationalsozialismus“ spricht, könnte genauso gut das „Zyklon B“ als „Läusegift“ anpreisen, die Lügen von Faschisten wiederkäuend, die sich „Nationalsozialisten“ nannten. Oder deren „IG Farben“ und „Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung“ (Degesch), wo Abs auch die Aufsichtsräte beherrschte. Die ja nur „Läusegift“ vermarktet hatten.
„Hitler war eine nationale Schande“ notierte Willy Brandt. Das gilt aber auch für jene, die nicht auf der Anklagebank in Nürnberg saßen, sondern die, wie Abs für Adenauer, kurz darauf bereits mit Wiederbewaffnung, DM und Währungsreform Deutschland spalten und 1952 bei der Londoner Schuldenkonferenz Griechenland, Polen und andere Opfer um jede Wiedergutmachung prellen durften.
Fortgesetzter Etikettenschwindel
Der Historiker Götz Aly hat dankenswerterweise große Akribie auf die Schmarotzer und kleineren NS-Trittbrettfahrer bei Zwangsarbeit und „Arisierung“ verwendet. Aber die hätten Hitler nie an die Macht brüllen können, wären dahinter nicht die coolen Big Players gewesen. Welche exakt errechnet hatten, wieviel Renditen aus der Eroberung Russlands in Gas, Öl und billigstem „Arbeitermaterial“, im Pressen von Reallöhnen auf Krisenniveau durch Zerschlagung von organisiertem Arbeiterwiderstand, herauszuholen waren. Was heute sorgsam weggeschwiegen wird. Von jenen medialen Einflussagenten, die uns Sozialisten genüsslich das Lügenwort „die Nationalsozialisten“ unter die Nase schwurbeln. (Und die bis heute ihrem Finanzkapital russische Bodenschätze unter den braunen Nagel reißen und baldmöglichst die modernste US-Überschallrakete „Dark Eagle“ in der Ostukraine stationieren wollen.) Jedenfalls: Die „National-Sozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ war nichts als ein Feind von deutscher Nation, von Sozialismus und der Arbeiter.
Der Faschismus konzentrierte weltweit an der Macht, was Thomas Mann die „Grundtorheit der Epoche“ nannte: den Antikommunismus. Das ist, was von Schamlosigkeiten Werktätiger aufgewühlt und von deren organisiert-unverschämten Sozialforderungen angetriggert und angewidert wird – um sie niederzumetzeln. Und dieser antiproletarische Terrorismus bleibt Wesensmerkmal des Faschismus: von Mussolini über Pinochet bis zum IS.
Grünliche Schreibagenten haben dagegen den Faschismusbegriff entkernt. Was übrig blieb, ist zwar eine nicht enden wollende Aufzählung. Die reicht von „homophob, frauenfeindlich, cis, ziganophob, xenophob, antisemitisch, toxisch-weiß-männlich, transphob“ bis zu „Putin-Verstehern, Klimaleugnern, Impfpflicht- und Gender-Gegnern“. Aber dessen kapitalkonotiertes Wesen, das antikommunistische und notorisch gewerkschaftsfeindliche, schweigen sie tot. Wie dessen proletarische Opfer. Sie müssten ja sonst eingestehen, in welcher Querfront sie Essentials derer propagieren, die vor 90 Jahren Hitler an die Macht finanziert hatten. Und deren undemokratische Weltordnung immer nur dort ins Straucheln geriet, wo Arbeiterklasse und bürgerliche Bündnispartner im Volksbündnis mehr wirtschaftliche Demokratie gewagt haben.
Der Autor hat Medizin, Pädagogik und Psychologie studiert und zum Psychosomatiker promoviert; sowie Aufsätze zu Epidemien und Immunsystem verfasst. Er ist Autor zahlreicher kommerzieller Nr-1-Hits, sowie Sänger von Liebes-, Arbeiter- und Friedensliedern. 17 Jahre lang war er für SPD und Die Linke im Bundestag. Er war Manager von Katarina Witt, BAP, Klaus Lage, Bots, Zupfgeigenhansel und anderen, sowie Moderator und Autor diverser TV-Sows und Satire-Sendungen, von Romanen und Musicals. Demnächst erscheint im Wiener Promedia-Verlag sein "Pornographie und Klassenkampf. Für eine materialistische Psychologie". (Foto: Tilo Gräser, Mai 2022)
Bravo