14. Juli 2022

„Armada der Irren“ – Buch über künstlerischen Widerstand in der Corona-Zeit

Von Redaktion ViER.

Autor: Eugen Zentner

Jens Fischer Rodrian hat einen seiner vertonten Slam-Poetry-Texte „Die Armada der Irren“ genannt. Es ist ein Sinnbild für die politische Führung während der Corona-Krise. Unter dem gleichen Titel ist nun sein Buch erschienen, in dem der Berliner Künstler Widerstandslyrik und kritische Essays nebeneinanderstellt.

Seit Beginn der Corona-Politik hat sich in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft Widerstand geregt – auch in der Kulturbranche. Die ganz großen Namen sind zwar nicht mit Kritik aufgefallen; der Großteil etablierter Künstler trägt den Regierungskurs mit. Doch es gibt umtriebige Vertreter, die sich vehement gegen die teilweise noch immer andauernden Maßnahmen aussprechen und engagiert darauf aufmerksam machen, welchen Schaden sie anrichten.

Einer von ihnen ist der Lyriker und Musiker Jens Fischer Rodrian. Er hatte sich schon sehr früh positioniert und bekannte selbst dann Farbe, als sich Bekannte und Freunde aus seiner Zunft von ihm abwandten. So schmerzlich das für ihn war, der Berliner blieb standhaft und vernetzte sich mit gleichgesinnten Künstlern. Wie ihm das gelang und was er auf diesem Weg erlebte, erzählt der 55-Jährige in seinem neuen Buch „Die Armada der Irren“.

Der Titel entstammt seinem gleichnamigen Slam-Poetry-Text, den er Anfang 2021 vertonte und auf der Plattform „YouTube“ veröffentlichte. In dem lyrischen Werk drückt Rodrian sein Entsetzen über die Qualität des Durchregierens aus. Er greift die Verantwortlichen scharfzüngig an und fordert sie auf, zur Vernunft zurückzukehren: „Schluss jetzt – ihr habt uns lang genug belogen“, lautet der Auftakt. „Uns überhört und all die Fakten verbogen.“ Das Stück war Teil des vor wenigen Monaten veröffentlichten Albums „Protestnoten“, das verschiedene Künstler aus der Protestbewegung vereint und ihnen eine Stimme gibt.

Bei dem Projekt federführend war erneut Rodrian. Er produzierte nicht nur das Album, sondern unterstütze die Mitwirkenden auch musikalisch. Sein nun erschienenes Buch kommt gewissermaßen als Begleitwerk daher, indem es diese vertonten Stücke einschließt, aber um weitere Texte ergänzt.

Weg in den Widerstand

Wer „Die Armada der Irren“ aufschlägt, findet unter anderem poetische Perlen, die es nicht auf „Protestnoten“ geschafft haben und erst auf dem Folgealbum zu hören sein werden – von Künstlern wie Sabrina Khalil, Philine Conrad, Lou Rodrian oder Ernst Elbe alias Wolfgang Wodarg. Es handelt sich um klassische Widerstandslyrik. Sie setzt sich mit dem Zeitgeist auseinander und akzentuiert Missstände, die seit der Corona-Politik die Gesellschaft spalten.

Während ihr knapp 35 Seiten gewidmet sind, setzt sich der Rest des Buches aus verschiedenen Textsorten zusammen: Essays, Porträts kritischer Künstler und Interviews mit einigen von ihnen. Rodrian schildert zunächst seinen Weg in den Widerstand. In einem Logbuch erzählt der Berliner, wie er „durch Auftritte bei Demos als Redner und Musiker oder auch einfach als Teilnehmer zum Aktivisten geworden“ ist.

Viele dieser Essays erschienen vorab in den unterschiedlichsten alternativen Medien. Was der Lyriker darin ausbreitet, dürfte sich mit den Erfahrungen aller überschneiden, die seit März 2020 die Corona-Maßnahmen kritisieren. Als eine Art „Damaskuserlebnis“ beschreibt Rodrian ein Aufklärungsvideo von Wolfgang Wodarg, der 2009 maßgeblich dafür verantwortlich war, dass der Skandal um die Schweinegrippe entlarvt werden konnte.

Der Film „Profiteure der Angst“ animierte Rodrian schließlich dazu, auch bei der vermeintlichen Corona-Pandemie genauer hinzuschauen. Schnell hat er nach eigener Aussage die vielen Widersprüche bemerkt, die sich vor allem in der Berichterstattung zeigten. Als Teilnehmer von Demonstrationen sei er überwiegend friedlichen Menschen begegnet, während die Leitmedien von angeblichen „Nazi-Aufmärschen“ berichteten.

Kunstvolle Prosa

Chronologisch arbeitet sich Rodrian von Station zu Station vor, mäandert zwischen einschneidenden Ereignissen, benennt die Politik-Verfehlungen und betrachtet die Corona-Krise aus verschiedenen Perspektiven. Dabei demonstriert der Lyriker, dass er die kunstvolle Prosa genauso beherrscht wie das poetische Handwerk. Seine Essays zeichnen sich durch Esprit aus, durch pointierte wie provokante Formulierungen. Mit spitzer Feder schreibt er seine Gedanken nieder, die immer wieder um die gleichen Themen kreisen, aber stets neue Argumente hervorbringen.

Gelegentlich lässt der Autor seinem Unmut freien Lauf. Dieser richtet sich unter anderem gegen die Grünen, seine ehemalige politische Heimat, wie Rodrian schreibt. Von ihr sei er genauso enttäuscht wie von vielen Künstlerkollegen, die nicht den Mut aufbringen, gegen den Strom zu schwimmen: „Es ist leicht, in vermeintlich guten Zeiten Missstände anzuprangern“, heißt es an einer Stelle. Ob man aber die Fähigkeit habe, Ungerechtigkeit aufs Tiefste zu empfinden, zeige sich erst, wenn die eigene Existenz auf dem Spiel stehe.

Während der Corona-Krise hat sich die Spreu vom Weizen getrennt. Mutige Künstler sind rar geworden, aber es gibt sie noch. Viele von ihnen hat Rodrian kennenlernen dürfen. In seinem Logbuch legt er dar, wie diese Vernetzung stattfand, wie sie immer intensiver wurde und stets neue Kooperationsprojekte gebar – unter anderem das „Protestnoten“-Album. Die Mitwirkenden stellt der Autor in kurzen Porträts vor, meist mit Erläuterungen dessen, was ihn mit der jeweiligen Person verbindet oder was er an ihr besonders schätzt.

Fünf dieser Künstler haben im Buch eine übergeordnete Stellung: der Musiker Lüül, die Opernsängerin Nina Adlon, der Liedermacher Jakob Heymann, die Lyrikerin Alexa Rodrian und die Schauspielerin Nina Proll. Ihnen stellt Rodrian vier Fragen und will unter anderem wissen, warum einst kritische Kollegen heute schweigen, wie wichtig parallele Strukturen sind und wie sie aussehen könnten. So unterschiedlich die Antworten ausfallen, die Interviewten stimmen darin überein, dass Kunst in Krisenzeiten Widerstand leisten muss. Sie muss der Gesellschaft den Spiegel vorhalten, den Finger in die Wunde legen und aufschreien, wenn sie Unrecht sieht.

Jens Fischer Rodrian: „Die Armada der Irren – Künstlerischer Widerstand in pandemischer Zeit“ (Buch mit CD)
Rubikon Verlag 2022. 280 Seiten; ISBN 978-3-96789-030-3; 20 Euro