1. August 2022

Tschüss sagten Friedrich und Annette – Aus der Traum vom harten Westgeld

Von Redaktion ViER.

Autor: Matthias Krauß

Der Euro steht vor dem Aus – das sagen zumindest eine Reihe von Experten mit Blick auf die Folgen von Krisen und Krieg. Ein guter Grund, daran zu erinnern, wie das war, als der Euro eingeführt wurde – und was vorher geschah. Ein ostdeutscher Rückblick.

Mitunter stößt der aufmerksame Zahlmeister in einer alten Hose oder in einem lang ungetragenen Jackett noch auf sie, auf die 50-Pfennig-Stücke der ersten D-Mark-Stunde. Statt Bundesrepublik Deutschland steht „Bank Deutscher Länder“ darauf, ein Gruß von 1949. Separate Währungsreform in Trizonalien, Geldvernichtung, Vermögensbildung, Wirtschaftswunder. War das die korrekt benannte Reihenfolge in der offiziellen Betrachtung der jüngeren Geldgeschichte?

Im Moneygrab vereint

Alles hat ein Ende, auch die D-Mark ging vor gut zwei Jahrzehnten dorthin ein, dort, wo die DDR-Mark seit mehr als 30 Jahren schlummert und wo der imperiale Denar der Römer, die Dukaten der Venezianer, die Assignaten der Französischen Revolution schon viel länger warten: in den Orkus der Moneta, der Göttin des Geldes. Seid dort einig. Ein einiges Europa ist ohne gemeinsame Währung undenkbar, das versteht jeder. Gern opferten wir die Währung und bekamen die Einheit dafür.

Der Ostdeutsche hat Übung darin, er hört kaum noch hin, wenn Europas Agitatoren das pekuniäre Unterpfand des kollektiven Glücks beschwören. Vor ziemlich genau 75 Jahren war es umgekehrt: Die West-Zonen machten finanziell ihr eigenes Ding – die D-Mark. Eine gemeinsame Währungsreform in allen Zonen war von den Westmächten unerwünscht. Natürlich hat nichts die deutsche Teilung so vorangetrieben, wie die getrennten Währungen (genauso wie nichts die europäische Einigung so vorantreiben soll, wie die gemeinsame Währung).

Aber unser geschätzter West-Mitbürger würde natürlich bis auf den heutigen Tag entschieden bestreiten, dass sich der Westen 1948 fest entschlossen gezeigt hat, 19 Millionen im Ostteil wohnende Deutsche per Wechselkurs abzusprengen. Und doch ist er an der deutschen Teilung nicht so unschuldig gewesen, wie er es gerne wäre.

West-Tanten statt Bäuerin

Das neue Euro-Geld hatte vor allem erst einmal neue Symbole, Zeit wurde es. Die kniende 50-Pfennig-Frau mit Kopftuch hat in dieser Beziehung ohnehin schon lange ausgedient. Es war eben ein Attribut der dürren Nachkriegszeit, was hatte diese verhärmte Bäuerin mit den wohlriechenden West-Tanten zu tun, die ab Mitte der 60er Jahre die begehrte Mars-Riegel und Kaugummis und Jeans in die DDR schleppten, oder einfach etwas Westgeld dort ließen.

Dem DDR-Bürger kam die Pflanzerin auf dem Geldstück insofern bekannt vor, als die tschechoslowakische Krone ein ähnliches Motiv zeigte. Nach der Ausrufung des Kriegsrechtes in der Volksrepublik Polen war das südliche Nachbarland das einzige, wohin der DDR-Bürger visumfrei reisen konnte. Der Geldmengenumtausch indessen war auf 60 Kronen pro Tag limitiert.

Aber zurück zur D-Mark: Ob die Gravur auf dem nun stimmig war oder nicht, das hat keinen bedrückt. Es war die harte Währung, der Schlüssel zum Intershop, und er öffnete schließlich – Helden hin oder her – auch die Tür zum Eisernen Vorhang.

Sterntaler in Babelsberg

Wer in der Nacht vom 31. Juni zum 1. Juli 1990, also zum Tag der „Währungsunion“, am Rathaus in Potsdam-Babelsberg über die Straße ging, fühlte sich wie „Sternentaler“. Unter ihm blitzte es unzählige Male auf. Irgendwelche Leute hatten an diesem Abend die DDR-Münzen händeweise aufs Pflaster und zwischen die Straßenbahnschienen geschmissen, sie zeigten sich gleichgültig, ob man sie ihnen Eins zu Zwei eintauschte oder nicht.

Und da sage noch einer, die Ossis seien keine Idealisten. Da funkelten die verachteten „Alu-Chips“ im bleichen Mondlicht, die weißblanken Pfennige, Fünfer, Groschen. Das Geld lag auf der Straße. Und das war es ja wohl auch wert, oder?

Man kann es schon nicht mehr hören: „Ihr konntet euch von diesem sogenannten Geld doch sowieso nichts kaufen.“ Also gut, wahrscheinlich bin ich der Einzige, der das anders sieht: Ich habe mir davon alles gekauft, was ich hatte und was mein Leben ausmachen konnte. Die Miete und das Frühstück, das Kino-Billett und die Hose, das Buch und die Bahnkarte. Das Bier und die Zwiebeln, Mäntel, Anzug und Schuhe. Den Rotwein und die Kohlen.

Wieso habe ich mir von DDR-Geld „nichts kaufen können“? Von der Tatsache, dass der Binnenwert der DDR-Mark deutlich höher lag als der Binnenwert der D-Mark ganz zu schweigen. Aber darüber braucht man sich mit den meisten Leuten in diesem Land nicht zu unterhalten.

Natürlich ist das alles geschmolzener Schnee von gestern. Auch die D-Mark schmolz dahin und machte dem Einheitseuro Platz. Der Trick war, beiläufig bemerkt, genial. Die Mehrheit der Deutschen glaubte steif und fest, er sei am 1. Januar 2002 gekommen. Dabei hielten sie ihn schon längst in der Hand.

Seit dem Tag, an dem die EU-Beitrittsländer einen festen Wechselkurs einhalten, also seit Februar 2000, haben wir die neue Einheitswährung. Sie sah nur noch eine Weile so aus wie D-Mark oder Franc oder Schilling. Aber faktisch war es schon der Euro.

Die merkwürdigen Zwei-Mark-Stücke

Dieser Schritt zur europäischen Einheitswährung hatte wirklich seine guten Seiten, denn er erlöste Deutschland von dieser ominösen Galerie der Zwei-Mark-Stücke. Was haben sich die Täter eigentlich dabei gedacht? Mal abgesehen davon, dass alle dort geprägten Politiker-Porträts von ausgesuchter Hässlichkeit waren. Schonungslose Tränensäcke und Stiernacken – man kann Realismus auch übertreiben und den so Geehrten einen Bärendienst erweisen.

Aber wer wurde da geehrt? Theodor Heuss, der im März 1933 im Deutschen Reichstag für das Ermächtigungsgesetz der Nazis stimmte und seinen Teil dazu beitrug, dass die Vernichtung des Grundrechtskatalogs den Anstrich der Legitimität erhielt. Franz Josef Strauß, der in den 50er Jahren nach Atombewaffnung der Bundeswehr schrie, eine Waffe, die auf seine ostdeutschen Landsleute gerichtet sein sollte und die sie im Einsatzfall alle vernichtet hätte. Ihm vor allem war zu danken, dass die Bundeswehr den Starfighter orderte, das einzige damalige Kampfflugzeug des Westens, das in der Lage gewesen wäre, Atombomben nach Moskau zu tragen. Rund 300 dieser Maschinen stürzten im BRD-Friedensdienst ab, 130 Piloten verloren dabei ihr Leben.

Oder Konrad Adenauer, der 1953 die von Stalin angebotene deutsche Einheit auf neutraler Basis und damit nach dem Vorbild Österreichs einfach ausschlug und damit unverfroren Millionen Ostdeutsche einem ungewissen Schicksal überließ. Ich frage mich, in welchem Maße man Vaterland und Demokratie eigentlich geschädigt haben muss, um die Ehre gehabt zu haben, in Deutschland auf das Zwei-Mark-Stück geprägt zu werden. Der Euro beendete das – und das war ein Segen.

Wer war das eigentlich auf den Scheinen?

Wirklich Abschied nahmen wir seinerzeit von den lieb gewordenen Gesichtern auf den vertrauten D-Mark-Scheinen. Aber Hand aufs Herz: Waren sie uns wirklich vertraut? Einer Studie zufolge wissen alte Ossis auch heute noch ziemlich genau, wer auf den DDR-Scheinen abgedruckt war, die sie vor 32 Jahren so gerne gegen die anderen eintauschten. Auch wenn sich alle Menschen danach neue Geldbörsen kaufen mussten, denn die DDR-Geldscheine waren klein, die bundesdeutschen dagegen Riesenlappen.

Aber wer war auf dem nach 1990 auch in Ostdeutschland geltendem Geldschein eigentlich abgebildet? Carl Friedrich Gauß (Zehnmark-Schein) und Annette Droste-Hülshoff (20 DM) zum Beispiel. Du meine Güte. Welche Annette?  Gauß, ja, der Mathematiker, der soll geweint haben, weil in irgendeiner Sphäre der Zahlen nicht jene Gesetze walten, die er gerne gehabt hätte. Um Zahlen zu weinen ist vielleicht eine Spur origineller als beim Zahlen zu weinen, das kann schließlich jeder.

Carl Friedrich mochte  angehen, aber was um alles in der Welt hatte die Zuständigen bewogen, diese Annette in die Schein-Welt aufzunehmen? Und dann schaute sie aus diesem lächerlichen Kragen heraus wie ein Storch.

Giftgrüner Dichterfürst

Verlorener Blick zurück nach drüben, in die DDR. Der Staat der Arbeiter und Bauern hat Johann Wolfgang Goethe auf den 20-Mark-Schein drucken lassen, das blieb auch so in den 1970-er Jahren nach dem letzten Bildwechsel auf den Geldscheinen. Von einem sanften Dunkelgrün wurde der Dichterfürst dabei in ein aggressives Giftgrün getaucht, auch seine Miene wurde finsterer, vielleicht weil er als Künstler vorausempfinden konnte, dass er im vereinigten Deutschland nicht ankommen würde, auf dem Geldschein jedenfalls nicht.

Bei der neugestalteten Ausgabe von 10-Mark-Geldscheinen wich Friedrich Schiller (türkis) seinerzeit Clara Zetkin (hellbraun), der Alterspräsidentin (KPD) des Deutschen Reichstages. Sie hatte im November 1932 einer Nazi-Mehrheit im Parlament das Sowjetdeutschland verheißen. Prophetische Worte. Die Sowjets veranlassten noch in den vierziger Jahren auch die erste Serie der ostzonalen Scheine. Dass Clara in späterer Zeit auf den DDR-Zehner geriet, darf als Dankbarkeit gelten.

Nicht Bach, sondern ...

Ich, der zu Geld zwar kein oberflächliches Verhältnis hat, es aber doch nie eingehend untersuchte, muss ein Geständnis veröffentlichen. Auch ich habe seinerzeit mit ängstlicher Hast und bebenden Lippen nach dem neuen Geld gelangt. Und all die Jahre glaubte ich, es sei Johann Sebastian Bach, der da speckig vom ockerfarbenen Fuffi grinst.

Erst kurz vor dem Ende stellte ich fest, dass es Balthasar Neumann (1687 - 1753) war. Wer war denn das nun wieder? Vergessen wir's, jetzt in Gegenwart des Euros ja sowieso. Balthasars 50-Mark-DDR-Gegenschein war Friedrich Engels, den kannte man schon, den Kapitalistensohn, rot gedruckt den roten Bruder des Karl Marx. Und den gab's für 100 Mark.

In der Farbe haben sich Ost- und West-Hunderter dann auch wieder getroffenen, beide von sattem Blau. Aber warum musste es Clara Schumann sein, die den 100-Mark-Schein (West) zierte – hatte ihr Robert nicht mehr Berühmtheit?

Hammer und Zirkel dann doch lieber nicht

Gegenüber der DDR-Währung, die vom „Spiegel“ Kosakendollar getauft wurde, waren Frauen auf dem Westgeld eindeutig in der Überzahl. Die dritte Frau auf dem West-Schein war Bettina von Arnim auf dem weniger häufigen 5-Mark-Schein. Wer das gewesen ist, weiß seit dem Film „Die Braut" auch der Kinogänger. Das ist die, die von Goethes Frau Christiane gewaltig eine gewinkt bekam.

Bettinens Rückseite zeigt das Brandenburger Tor. Was hatte Bettina mit diesem Tor zu schaffen? Ich frage, weil die Scheingestalter Clara Schumann, der Musikerin, einen Flügel nebst Stimmgabelfächer verpassten und der Annette eine Feder plus Buch auf die Rückseite packten. (Wir ersparen uns an dieser Stelle die Frage nach auch nur einem Gedicht der sicherlich begnadeten Frau.)

Balthasars Rückseite zeigt einen Grundriss. Wohl weil er sich als Architekt einen Namen gemacht hat – man tastet sich heran. Nach Flügel und Feder hätte es aber an dieser Stelle Senkblei oder Maurerkelle sein müssen. Vielleicht auch Hammer und Zirkel.

Mit Thomas Müntzer wissen wiederum die meisten Wessis ebenso wenig anzufangen wie der Ossi mit Annette von wie noch mal. Warum hat die DDR einen der religiösesten Menschen des Jahrtausends, einen Christen, auf ihren 5-Mark-Schein gedruckt? (Auf dem er seinerzeit Alexander von Humboldt verdrängte.) Es war, als hätte der Bauernkrieger die „Kirche im Sozialismus“ begründet.

Zur Hölle mit dem ganzen Plunder!

1000-Mark-Scheine kannte der Osten nicht, da hat der Westen dann endgültig seine Überlegenheit unter Beweis stellen können. Die Brüder Grimm, die Märchenonkel, waren eine treffende Motivwahl  auf dem 1000-D-Mark-Schein. Sie stehen für märchenhaften Reichtum.

Was die DDR an Ökonomie nicht bot, das bot ihr Geld wenigstens im „letzten, schlechten, leeren Augenblick“. Denn weil die Scheine modern klein gehalten waren, war ihre Entsorgung leichter. Die Münzen, hieß es, wurden danach umgeschmolzen zu Mercedes-Türen. Die Scheine liegen irgendwo im Schacht. Und gewissermaßen zur Hölle fuhr zehn Jahre später auch die D-Mark.

Bei der Gestaltung des papiernen Euro-Geldes verzichteten die Scheingestalter auf Porträts von bekannten oder unbekannten Persönlichkeiten. Sie ließen sich von Brücken und Toren inspirieren. Es sind sozusagen bildliche und formale Zitate, bloße Anleihen – keine Brücke, kein Tor auf diesen Scheinen gibt es so in der Wirklichkeit. Hoffen wir mal alle, dass dies nicht in kürzerer oder längerer Frist als ein Sinnbild für Falsch- oder Spielgeld dienen muss.

Zum Autor: Matthias Krauß (Jahrgang 1960) stammt aus Hennigsdorf, Bezirk Potsdam seinerzeit (d.h. Kindheit und Jugend im Schatten der Berliner Mauer verlebt), hat in Leipzig Journalistik studiert, war danach Jugendredakteur der "Märkischen Volksstimme" und ist seit 1990 freier Journalist und Autor in Potsdam. Themen: Potsdam, Brandenburg, Deutschland, die Welt.

Dieser Beitrag ist in Ausgabe 4/22 des Magazins erschienen (S. 36 - 38). Die Münzenbilder hat Éva Péli bearbeitet.