Die Macht feixt: Rinks und lechts – gemeinsam gegeneinander
Autorin: Petra Székely
Ein betrachtender Bericht zum Leipziger Auftakt des „heißen Herbstes“ am 5. September 2022. Und: Warum die Linken als Fahnen- und Besorgnisträger das Schreckgespenst des „Rechtsrucks“ selbst heraufbeschwören – ein polemisches Plädoyer für den Tanz auf Bewusstseinsruinen.
Als die Partei Die Linke zum „Heißen Herbst gegen die soziale Kälte“ für den 5. September auf den Leipziger Augustusplatz einlud und die „Freien Sachsen“ für den selben Tag ebenfalls um 19 Uhr auf den zentralen Platz der Messestadt riefen, um gegen die Bundesregierung und ihre Massenverarmungspolitik zu protestieren, war der Schrecken groß. Postwendend organisierten die Linkspartei-Politikerin Juliane Nagel und weitere empörungsbereite Gesinnungssäuberer vorsorglich Gegenproteste, unter anderem unter dem Motto „Kein Fußbreit den Faschisten“.
Wenn sich also Bürger mit unterschiedlichen Meinungen versammeln, klingen die Bedenken aus den Diskurswächterkehlen: Wer darf wie und mit wem zum Protest in Leipzig aufrufen? Immerhin die Stadt der Montagsdemos und der friedlichen Revolution! Ist die Forderung, Nordstream 2 zu öffnen, schon rechtsradikal? Geht das überhaupt noch, montags zu demonstrieren ? Wird Gregor Gysi danach gefragt, so legt dieser die Stirn in Falten: Alles ganz schön kompliziert, da muss er erstmal drüber nachdenken, vielleicht ist der Dienstag besser.
Viel zupackender und ohne begriffslosen Formalismus sind da die „Freien Sachsen“: Diese sollen gar in frohlockender Heraufbeschwörung des „Querfrontherbsts“ einen Fake-Aufruf veröffentlicht haben, der den Eindruck einer gemeinsamen Veranstaltung erweckte. Das meldete die „taz“ entsetzt und zitierte den Linkspartei-Politiker Sören Pellmann: „Die Panik muss groß sein bei den Rechten, wenn sie sich unter den Rock der Linken verkriechen wollen“.
Sowohl Gysi als auch Pellmann gehen angeblich mit rechtlichen Mitteln gegen den unerwünschten Aufruf der „Freien Sachsen“ vor – der da heißt: „Getrennt marschieren, gemeinsam schlagen!“. Der trägt somit eigentlich bereits im Titel, dass eine Trennung vorliegt. Aber, so weiß ein jeder Linker aus der Demo-Fibel, wer heute mit Rechten demonstriert, zündet morgen Ausländerheime an. Einstiegsdroge „Querfront“.
So gehen ordentliche Linke dann am Demotag lieber in die Sauna (solange es noch geht!) oder setzen vom Sofa einen Tweet darüber ab, wie wichtig es ist, gemeinsam den Kapitalismus zu überwinden.
Gleiche Zeit, gleicher Ort
Am Montagabend ist der Leipziger Augustusplatz durch „Hamburger Gitter“ und die einsatzbereite Polizisten fein säuberlich in der Mitte getrennt. Es verkriechen sich „die Rechten“ mitnichten unter dem Rock der Linkspartei. Die Redner bei den „Freien Sachsen“, darunter Anselm Lenz und André Poggenburg, überbieten sich mit Gesprächsangeboten an die Linken. Wenn mit Lenz die Volksdemokratie-Phantasien durchgehen und er eine demonstrative Volksabstimmung unter anderem zur Beendigung aller Corona-Maßnahmen durchführt, lässt sich das zwar drollig finden, aber so gibt es wenigstens noch etwas zu lachen.
Gegenüber wird hinter den Bannern der Partei Die Linke hingegen wird todernst durch die im Staatssinne maskierte „Antifa“ kontrolliert, ob sich nicht vielleicht doch irgendjemand mit „Säxit“ T-Shirt oder Fahne, die eine andere Farbe als Rot hat, unter die selbsternannten Demokratiewahrer zu mischen erdreistet.
Auf der anderen Seite kritisiert Jürgen Elsässer zwischen Werbeblöcken für sein „Compact“-Magazin, dass seine „Wunschbundeskanzlerin“ und „einzig populäre“ Genossin Sahra Wagenknecht von der Linkspartei im Vorfeld ausgeladen wurde, und stachelt gutgelaunt zu „Sahra, Sahra!“-Rufen an. Die Menge folgt klatschend. Später wird noch ein wenig über den Ring gelaufen und das Laufen ein wenig blockiert. Ein stämmiger Jungsachse ruft einem Polizisten zu „Mach' die Straße frei, du Homo!“ Was in linken Kreisen wohl zu Krisenplena und Antihomophobie-Schulungen führen würde, sorgt vor Ort nur für dezentes Mundwinkelzucken.
Kaiser oder Kollektivierung?
Ein Blick auf die Forderungen der beiden Lager zeigt durchaus Überschneidungen, etwa in der Kritik an Waffenlieferungen in die Ukraine oder bei dem bekundeten Interesse am Bürger, diesem nicht die Hauptlast der Preissteigerungen aufzubürden. Inwiefern sich die Vorstellungen unterscheiden, wie diese Forderungen zu erreichen sind, und welche Vergesellschaftungsform angestrebt wird - das ließe sich im Gespräch mit- und gegeneinander ja erstmal herausfinden.
Es den Rechten vorzuwerfen, dass diese sich lediglich falsch regiert fühlen, aber kein Interesse an der Abschaffung der Ausbeutung als Wirtschaftssystem haben, wäre eigentlich durch die Linken zu leisten. Wenn diese aber regierungstreu mit Kaffeefilter-ähnlichen Plastikbedeckungen vor dem Mund zu allem auf Abstand gehen, was nicht ihrer Gesinnung entspricht, somit Ansteckungsgefahr bedeutet und Ausgrenzungswünsche hervorruft, ist es um die Analyse von Herrschaft und Entwicklung einer Utopie jenseits davon jedoch denkbar schlecht bestellt.
Übrig bleibt nur die buchstäbliche Moralkeule von oben herab, gegen die sich des Selbstdenkens fähige Teile der Bevölkerung immer stärker zu wehren beginnen, mit Sambatrommeln, Friedenstauben und Querdenkerei.
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