19. Oktober 2022

Boykott gegen kritische Musiker – oder alles wie beim Rock’n’Roll?

Von Redaktion ViER.

Autor: Eugen Zentner

Oppositionelle Musiker mit regierungskritischen Songs haben Schwierigkeiten, ein Label zu finden. Entweder fehlt es den Verlagen an Mut oder an Geld. Dabei bietet sich ihnen eine einmalige Chance: Fernab vom herkömmlichen Mainstream entsteht gerade ein schnell wachsender Markt, der viel Potential hat.

Aller Anfang ist schwer, insbesondere für Musiker. Newcomer müssen seit jeher lange suchen, bis sie ein Label finden. Oftmals zieht sich der Prozess über Jahre hin und kostet viel Kraft. Um einiges anstrengender ist dieser Weg, wenn Musiker in ihren Werken Regierungskritik üben oder mit oppositionellen Äußerungen auffallen. Das merken derzeit Künstler, die sich gegen die Corona-Politik ausgesprochen haben. Sie blitzen selbst bei bekannten Independent-Labels ab und suchen mit Hochdruck nach Alternativen. Doch die scheint es nicht zu geben. Entweder fehlt der Mut oder das Geld, um Musiker angemessen zu betreuen.

Wie verzwickt die Situation ist, lässt sich anhand des Komponisten, Produzenten und Sängers Augustin veranschaulichen. Der Künstler aus München gehört nicht wirklich zu den Newcomern, sondern bewegt sich schon Jahrzehnte im Musikgeschäft. 2019 hatte er sogar einen Vertrag mit einem der größten deutschen Independent-Labels abgeschlossen. Mehrere Songs lagen bereits bereit, um veröffentlicht zu werden. Doch dann kamen die Corona-Maßnahmen, mit denen die ganze Kulturbranche einen herben Dämpfer erlitt. Wie andere Institutionen mussten auch die Musik-Labels Verluste hinnehmen, weshalb die Stimmung in den Führungsetagen angespannt war.

Jede falsche Entscheidung konnte Geld kosten. Augustin (Foto: privat) hatte zu diesem Zeitpunkt als Reaktion auf die Corona-Politik seine eigene Version von Rio Reisers „Zauberland“ produziert und sie mehreren Redaktionen des Öffentlichen Rundfunks geschickt. „Daraufhin habe ich gesehen, dass das Lied etliche Male heruntergeladen worden war“, erinnert sich der bayrische Musiker. „Aber niemand hat es gespielt. Einer wollte es, wie ich erfuhr. Aber er bekam Druck von oben.“

Angst vor kritischen Songs

Augustins „Zauberland“ war schlicht zu kritisch für den Mainstream. „Zauberland, ist abgebrannt / und brennt noch irgendwo“, heißt es in dem emotional vorgetragenen Refrain, der auf Deutschland anspielt. „Zauberland ist abgebrannt / und brennt noch lichterloh.“ Den Song leitet eine Sound-Collage ein, mit bekannten Aussagen von Politikern wie Angelika Merkel oder Markus Söder und von Bürgern, die gegen die Corona-Politik protestieren. Diese Merkmale waren wohl der Grund, warum das Lied komplett boykottiert wurde. Doch es kam noch schlimmer. Kurz darauf bat ihn sein Label, den Vertrag aufzulösen. „Man sagte mir, dass der kritische Song auf sie zurückschießen könnte“, so Augustin. „Der Verlag befürchtete einen Imageverlust und versuchte, sich aus der Schusslinie zu bringen. Wenn alles wieder vorbei ist, hieß es, könnte ich ja wiederkommen.“

Augustin wollte dem Label keinen Ärger bereiten und tat ihm den Gefallen. Aber nun musste er einen neunen Verlag suchen, um die Investitionen der letzten Jahre zu kompensieren. Vor dem Vertrag 2019 hatte er zunächst mit eigenem Geld mehrere Projekte aufgebaut, die sein Label dann realisieren wollte. Aufgrund der einvernehmlichen Trennung verlief das jedoch im Sande. Augustin blieb auf seinen Ausgaben sitzen. So begann erneut die Suche nach einem neuen Label, die sich schließlich zu einer Odyssee entwickelte. Überall wo der Musiker anfragte, sagte man ihm, dass er mit seiner „Querdenker-Meinung“ nirgends einen Vertrag bekomme. Tatsächlich blieben die Türen für ihn überall verschlossen, außer bei der Komplett-Agentur „A-MAZE-ING music“. Die Firma aus Stuttgart betreut Musiker von der Produktion bis zum Vertrieb, auch solche, die gegen den Strom schwimmen.

Die Agentur hat zweifellos Mut, allerdings kein eigenes Studio, was Künstlern wie Augustin die Arbeit erschwert. „Nun ist es ja so, dass viele Künstler inzwischen zu Hause an ihren Computern bereits in sehr guter Klangqualität produzieren“, sagt der 61-Jährige. „Das geht aber bei mir nicht, da ich zumeist oldschool-mässig live mit Menschen recorde – und eben nicht Musik programmiere.“ Es sei ein Teil seines Stils und seiner Philosophie, dass er zusammen mit Menschen spielen möchte.

Ohne Geld geht nichts

Insofern müsse ein Label oder eine Agentur nicht unbedingt ein eigenes Studio haben, aber es sollte über „so gute Kontakte zu einem Studio verfügen, dass die Künstler möglichst kostenfrei oder zumindest sehr günstig produzieren können“. Ein Verlag muss, das lässt Augustin anklingen, ein gewisses Budget zur Verfügung stellen, damit die Musiker nicht alles aus der eigenen Tasche bezahlen. Doch genau das können die Independent-Labels derzeit nicht leisten, selbst wenn sie bereit sind, einen kritischen Song zu produzieren. „Es wird dann oft gesagt: Ja, machen wir. Aber dann rücken sie kein Geld raus“, so der Münchner.

Die finanziellen Mittel sind allerdings nicht nur für die Produktion erforderlich, sondern vor allem für das Marketing, um die Künstler auf dem Markt mit einer wirksamen PR zu vertreten und dadurch eine gewisse Reichweite zu erreichen. Das wünscht sich auch ein Musiker aus Bensheim, der sich „Der Akupunkteur“ (Foto: privat) nennt. Wie Augustin steht er schon seit mehreren Jahrzenten auf der Bühne. Vor Corona spielte der Hesse meist gecoverte Musik in verschiedenen Bands und verdiente sein Geld mit Aufträgen. 2020 beschloss er, eigene, überwiegend kommerzielle Songs zu produzieren, um damit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Als die Corona-Maßnahmen umgesetzt wurden, konzentrierte sich der 59-Jährige ausschließlich auf dieses Thema und schrieb Lieder mit kritischem Inhalt. Mittlerweile sollen es über 30 Songs sein, die zwischen den Genres changieren und stilistisch mal jazzig angehaucht sind, mal Bezüge auf Falco oder Rammstein aufweisen. Die Produktion bereitet dem Akupunkteur keine Schwierigkeiten; es ist das Marketing. Deshalb sucht er nach einem Label, das nicht nur dazu in der Lage, sondern auch willens ist, ihn mit einer PR-Kampagne zu unterstützen.

Suche nach Plattenfirmen

Aber auch er stößt auf Hindernisse. „Zunächst ist es schwer, Independent-Labels überhaupt ausfindig zu machen“, erläutert der Musiker das Problem. „Über Telegram bin ich dann auf ein paar Namen gestoßen, konnte sie im Internet aber nicht finden. Die meisten kleinen Labels haben keine eigene Homepage. Es gibt allenfalls eine Vertriebsseite, auf der das Label aufgeführt ist. Die Kontaktdaten werden jedoch nicht angezeigt.“. Alternativ dazu versuchte Der Akupunkteur bei „Tunecore“ sein Glück. Die US-amerikanische Firma versteht sich als digitaler Distributor und Dienstleister im Musikbereich, bei dem Künstler ihre Songs hochladen können. „Tunecore“ leitet sie dann weiter an Portale wie „Spotify“ oder „iTunes“, die schließlich den Vertrieb erledigen.

Mit den ersten fünf Songs hatte „Der Akupunkteur“ noch Glück. „Sie wurden jeweils innerhalb von einer Woche livegeschaltet“, berichtet er. Danach habe es eine Zäsur gegeben. Die nächsten zwölf Songs sollen im Nirwana verschwunden sein. „Ich habe ‚Tunecore‘ mehrmals angeschrieben, aber bis jetzt kein Feedback bekommen“, so der Musiker. „Ich vermute, dass es an dem regierungskritischen Inhalt liegt. Irgendjemand stellt sich quer, entweder ‚Tunecore‘ oder die Vertriebsplattformen.“

Der Akupunkteur und Augustin sind nicht die einzigen regierungskritisch-oppositionellen Musiker, die derzeit händeringend nach einem zuverlässigen Label suchen. Fernab vom herkömmlichen Mainstream entsteht gerade ein schnell wachsender Markt, der viel Potential hat. Blieben die Musiker zu Beginn der Corona-Krise noch relativ still, erscheinen mittlerweile auf den gängigen Social-Media-Kanälen täglich gleich mehrere Songs, in den die Maßnahmen-Politik und deren Folgeerscheinungen thematisiert werden.

Alles wie beim Rock’n‘Roll

Independent-Labels bietet sich daher eine einmalige Chance. Davon ist Augustin mehr als überzeugt: „Kulturelle Investoren mit dem Talent, die Nase im Wind zu haben, werden die innovativen Chancen dieses Augenblickes leicht erkennen können. In den Chefetagen der Major Companies steigt bereits die Panik, weil die Marktanteile wegbrechen. Doch die sind mit der bisherigen Strategie, alle kritischen Stimmen zu diffamieren, nicht mehr zurückzuerobern.“ Ein bisschen erinnert ihn die Situation an die Anfänge des Rock’n’Roll. Die damaligen Musiker dieses Genres seien ebenfalls oppositionell eingestellt gewesen und hätten den Finger in die Wunde gelegt.

„Warum soll das jetzt nicht mehr gehen“, fragt der bayrische Musiker. „Weil alle nur noch im Kommerz versinken? Weil sie zunächst an Geld und Umsätze denken und sich an die Spielregeln der momentanen Machthaber halten?“. Mit einer solchen Einstellung wäre Punk oder jede neue konträre Musikrichtung nie entstanden, gibt er zu bedenken: „Deshalb braucht es wieder mutige Label-Chefs, die etwas riskieren und als allererstes der Kunst und der inneren Überzeugung verpflichtet sind.“