7. Dezember 2022

Songpoet Tino Eisbrenner: „Musik ist die Weltsprache Nummer eins“

Von Redaktion ViER.

Tino Eisbrenner ist ein Lyriker, Songpoet und Autor, der zwischen Rock, Pop und Chansons changiert. Seine Songs sind oft politisch, enthalten aber ebenso sanfte Töne. Als Brückenbauer setzt sich Eisbrenner seit Jahren für Frieden und ein besseres Verhältnis zu Russland ein. Neben der slawischen Kultur interessiert ihn die Lebens- und Denkweise der Indianer, der amerikanischen Ureinwohner. Eugen Zentner sprach mit ihm für die "ViER."

Tino Eisbrenner (Foto: Elena Dmitrieva)

Herr Eisbrenner, vor wenigen Monaten haben Sie ein neues Album herausgebracht. Mit welchen Themen setzen Sie sich darin auseinander?

Es ist ein Konzeptalbum, das ich im Jahr 530 der „Entdeckung Amerikas“ machen wollte, um
poetisch zu ergründen, welchen Spiegel uns dieses geschichtliche Ereignis und seine Folgen heutzutage vorhält. Viele von uns haben in der Kindheit diese Geschichte von Mord und Vertreibung als Abenteuerliteratur oder -film vermittelt bekommen. Für viele endete der Blick auf das Schicksal der amerikanischen Ureinwohner, der „Native Americans“, und auch der durch Sklaverei entwurzelten schwarzen Bevölkerung mit dem Ende der eigenen Kindheit. Geschichte wurde zu vergessenen Geschichten. Aber die letzten Indianerkriege zogen sich bis weit in das zwanzigste Jahrhundert hinein und noch immer kämpfen sie um ihre Rechte und um das Land, auf dem sie leben. Ich habe oft erlebt, dass deutsche Kinder glauben, Indianer gäbe es nicht mehr. Und die Nation, die ihren Wohlstand und ihre Lebensphilosophie auf dem Genozid an 500 indianischen Völkern und der Versklavung der afrikanischen Bevölkerung begründet hat, beeinflusst und dominiert heutzutage auch unser Denken und Handeln. Wir erleben doch gerade aktuell hautnah, was die USA zu unternehmen bereit sind, um die europäische und besonders die deutsche Wirtschaft von der ihren abhängig zu machen. Und so ist mein Album also ein Album der Poesie und Lebensromantik aber auch der politischen Analyse, des Protests und Widerstands. Ein versuchter Weckruf für unsere Politik, für unseren gesellschaftlichen Diskurs.

Das Album heißt „Kalumet“. Was bedeutet dieser Ausdruck und warum haben Sie ihn gewählt?

Das Wort stammt aus der französischen Sprache, hat sich aber im Laufe von Jahrhunderten irgendwie auf die „indianische Friedenspfeife“ fokussiert. Friedenspfeife ist übrigens auch einer dieser Begriffe, die durch die oberflächlichen Betrachtungen der weißen Eroberer geprägt wurden. Denn nur weil man ihnen bei friedlichen Begegnungen und Besprechungen das Kalumet reichte, heißt das keinesfalls, dass dies der einzige Anlass wäre, wo ein Indianer mit seinem Tabakopfer die Verbindung zum „Großen Geist“ herstellt.

Sie haben in Südamerika mit Indianern zusammengelebt und -gearbeitet. Woher kommt diese Faszination?

Aus meinen Kindertagen und den von mir erwähnten Büchern und Filmen. Ich bin in der DDR und in Bulgarien aufgewachsen und hatte also das Glück, die Defa-Indianerfilme mit Gojko Mitic buchstäblich aufzusaugen. Diese Filme waren allesamt nicht nur Abenteuerfilme, sondern erstklassiger Geschichtsunterricht. Und dazu Bücher wie „Die Söhne der großen Bärin“, „Blauvogel“ oder „Lederstrumpf“ – mehr Faszination an geschichtlicher Bildung ging ja nicht. Und als ich 1989 mit 27 Jahren zum ersten Mal in Nicaragua amerikanischen Boden betrat, begann ich, aus meinen Büchern und Filmen herauszuklettern und die indianischen Kulturen anhand persönlicher Begegnung mit den Menschen und ihrem Heute zu erleben.

Was können Westeuropäer von den Indianern lernen?

Das ist eine von den Fragen, vor denen jeder Indianer zurückweicht, denn es steckt eine große Portion Ironie in ihr. Ich habe bei meinen indianischen Freunden besonders dadurch Vertrauen gefunden, dass ich Fragen wie diese nie stelle. Aber kürzlich war ich mit Mitch Walking Elk, einem Cheyenne-Arapaho aus Oklahoma, unterwegs. Er ist über siebzig Jahre alt und ein indianischer Singer-Songwriter, der politisch sehr aktiv ist. Bei einer Veranstaltung sagte er auf eine ähnliche Frage Folgendes: „Ihr Europäer seid gekommen, um unser Land zu nehmen und das Leben unserer Menschen. Ihr habt uns unsere Nahrungsgrundlagen und damit unsere Lebensart genommen. Ihr habt unsere Kulturen zerstört und versucht ganz auszulöschen. Ihr habt unsere Frauen zwangssterilisiert und uns unsere Kinder genommen, um sie in Euren Kasernen zu Amerikanern umzuerziehen. Ihr kamt, um uns unsere heiligen Zeremonien zu verbieten und Ihr tötetet unsere großen heiligen Männer und Frauen, um ihr spirituelles Wissen und dessen Kraft zu vernichten. Neuerdings kommt Ihr noch und wollt, dass niemand uns mehr ‚Indianer‘ nennt – ein neuer heuchlerischer Versuch, uns unsichtbar werden zu lassen. Wir haben uns 530 Jahre lang gegen all das verteidigt und behauptet. Wir sind noch hier und wenn Ihr wollt, können wir Euer Gewissen sein.“
Um auf Ihre Frage zu antworten: Vielleicht können wir von den Indianern lernen, den sogenannten „American Way of Life“ mit großem Argwohn zu betrachten und uns ihm entgegenzustellen. Denn er ist, wenn man ihm den Spiegel vorhält, eigentlich von jeher ein „American Way of Death“!

Zeitgleich zum Musikalbum haben Sie ihr neues Buch „Hinterland“ herausgebracht. Es hat eine etwas ungewöhnliche Entstehungsgeschichte. Könnten Sie die bitte ganz kurz erzählen?

Ursprünglich sollte das ein Interview am Beginn dieses Jahres werden, in dem ich 60 wurde. Eine Journalistin, die unter dem Pseudonym Ida Kamerada zu veröffentlichen, sprach mich mit dieser Idee an. Ich war anfänglich wenig interessiert, es gibt ja bereits zwei autobiographische Bücher von mir. Dann sagte ich doch zu und beschloss aber, dieses Mal surrealistisch zu antworten. Der erfahrenen Kollegin gefiel dieses Spiel offenbar sehr. Es entspann sich ein langes Gespräch, dessen zu hebender Schatz mehr und mehr die Erkenntnis über die „innere Heimat“ des Künstlers Eisbrenner zu werden schien. Das machte uns beiden Spaß, und es entstand die neue Idee, dieses protokollierte Gespräch mit einem längst überfälligen Bildband zu verbinden, den der Verlag „Edition Bodoni“ gern machen wollte. Dann kam der 24. Februar 2022: Weil ich in dem ersten Gespräch viel über meine Beziehungen nach Russland, Belarus und der Ukraine preisgegeben hatte, führte Ida Kamerada ein zweites langes Gespräch mit mir – dieses Mal überhaupt nicht surrealistisch –, das in das Buch „Hinterland“ aufgenommen wurde.

Wie beurteilen Sie den gegenwärtigen Ukraine-Konflikt? Was ist da schiefgelaufen?

Schiefgelaufen aus wessen Sicht? Für die USA, England – nichts! Für die ukrainische Politik, die sich seit dem Regierungsputsch 2014 offiziell gegen alles Russische im eigenen Land scharfgemacht hat und unter Einsatz von faschistischen Regimentern zur Russenhatz aufschwang, auch nichts. Aber für fünf Millionen Russen in der Ukraine, für ihre Verwandten und Freunde, für Jeden, der weiter die russische Sprache sprechen wollte, für jene, die sich gegen die Kiewer Doktrin zu verteidigen und abzugrenzen versuchten, und für das Schwesterland Russland, das aufgrund der ethnischen, ökonomischen und sicherheitspolitischen Verbindungen dieses Treiben als Bedrohung einstufen musste – zusätzlich in die Ecke gedrängt durch massive Aufmärsche der Nato. Für sie ist alles schiefgegangen. Und dann wären da noch wir Deutschen, für die alles schiefgegangen ist. Wir haben in völliger Geschichtsvergessenheit gegenüber Russland unser Gesicht verloren. Wir haben uns ungeniert, für jeden seit zehn Jahren sichtbar, zur „Speerspitze der Nato“ und zur Manöver-„Drehscheibe“ erklären lassen. Wir lassen uns von den USA in einen Sanktionsrausch gegen Russland drängen und zwar nicht erst seit Beginn dieses unseres großen Lieblingskrieges. Es ist beschämend, dass Deutschland gegen keinen der derzeitigen Kriege auf der Welt auch nur mehr als zwei Sätze verliert, aber gegen Russland Zeter und Mordio schreit. Unser Kanzler posiert vor Panzern und unsere Außenministerin verspricht energisch, die geschäftlichen Brücken zu Russland niederzureißen: „… und zwar für immer!“ Jemand zerbombt uns Nord Stream 2, aber wir stellen nicht einmal Untersuchungen an oder lassen die Bundeswehr wegen dieses terroristischen Anschlags ausrücken. Und unsere Staatsmedien beginnen Sendungen vollkommen schmerzfrei mit der Nachricht, Putin drohe mit Atomkrieg. Niemand zeigt aber diese Drohungen im Original. Was ist da also schiefgelaufen? Für uns alles!

Wie könnte man ihrer Meinung nach die Konfliktparteien dazu bringen, gemeinsam eine Friedenspfeife zu rauchen?

Es gibt dazu Aussagen von amerikanischen Parlamentariern, die lauten: „Wir lassen das so lange laufen, wie es für unsere Wirtschaft und sonstigen Interessen nützlich ist.“ Und Bertolt Brecht sagt dazu: „Krieg wird es geben, solange auch nur ein Mensch am Krieg verdient.“ Ich persönlich möchte weder erleben, dass Russland in den zweiten Gang schaltet, noch, dass Selenskyj sein Versprechen an den Westen wahrzumachen versucht, die Krim und den Donbass zu „befreien“. Es wäre unsere Aufgabe im eigenen Land, der Politik, die angeblich in unserem Namen mit demaskierendem Enthusiasmus diesen Krieg beheizt, den Stuhl vor die Tür zu stellen!

Tino Eisbrenner bei einem Auftritt im Mai 2019 (Foto: Tilo Gräser)

Als geborener DDR-Bürger lebten Sie mehrere Jahre in Bulgarien und entwickelten ein Verständnis für slawische Mentalität und Kultur. Mit der Zeit lernten Sie unter anderem die Musik der Sänger Wladimir Wyssozki und Bulat Okudschawa kennen. Auf ihrem Album „November“ haben Sie deren Lieder ins Deutsche übersetzt. Was macht diese beiden Künstler so besonders?

Wyssozki war das, was man einen Volkssänger nennt. Er schaute dem Volk auf’s Maul und in die Herzen, sang und sprach in ihrem Namen und in ihrer Sprache auch über Themen, die dem sowjetischen Staat schwer im Magen lagen. Er war ein Energiebündel und seine Stimme donnerte wie Maschinengewehrsalven. Aber er starb mit 41 Jahren und wurde zum Mythos. Das alles zog auch mich in seinen Bann. Und ich verehre ohnehin Künstler, die sich nicht verbiegen lassen. Okudschawa war ein georgischer Poet, der sich immer als russischer Barde bezeichnete. Während Wyssozki viele seiner Lieder fast zu Sprechgedonner werden ließ, setzte Okudschava auf die Stärke der Melodien. Oft sehr sanft, melancholisch, poetisch. Musikalisch liegt mir Okudschava sogar näher als Wyssozki und seine Texte sind lyrische Erzählungen und Lebensphilosophien. Wenn ich die Welt der russischsprachigen Barden in ein Bild fassen sollte, dann wären Wyssozki und Okudshava für mich wie die beiden festeren Streben eines Fächers, die an einem Punkt verbunden dem großen V des Fächers die Stabilität garantieren.

In ihrem neuen Buch geht es auch um die innere Heimat eines Künstlers. Wie sieht diese in Ihrem Fall aus?

Oh. Ich glaube, dass auch Ihr Interview bisher schon viel davon preisgibt. Meine innere Heimat hat viel mit meiner kulturellen und politischen Bildung zu tun. Indianische und osteuropäische Freunde zu haben und mich in beiden Kulturkreisen zuhause zu fühlen, ist für mich kein Widerspruch, sondern logische Konsequenz meines Lebensweges, dessen Wegweiser fast immer etwas mit Musik zu tun haben.

Hat diese innere Heimat während der Corona-Krise Risse bekommen? Schließlich wurde die Kultur von einem Tag auf den anderen abgestellt? Wie haben Sie diese Zeit eines praktischen Berufsverbots erlebt?

Es war ja seit 1989 schon das zweite Mal, dass mir die Systemrelevanz abgesprochen wurde. Aber wenn man sich als Künstler darüber klar ist, dass man für ein System, das auf nicht weniger als auf Entmenschlichung, Versachlichung und Profit baut, eine Gefahr darstellt, dann weiß man auch, warum die Politik dieses Systems die Kunst in solchen Momenten mundtot macht. Das stärkt die innere Heimat mehr, als es ihr schadet. Ich habe am Beginn des Kultur-Lockdowns schnell reagiert und mit Hilfe von Freunden in ein Studio investiert. So konnte ich innerhalb von zwei Jahren nicht nur sechs Alben aufnehmen, sondern damit auch meine Musikerfreunde beschäftigen – und damit auch ihre innere Heimat schützen. Gemeinsam haben wir dann Menschen zusammengebracht, die sich das Menschsein eben nicht austreiben lassen wollten, sondern Widerstand formulieren und leisten konnten. Und das ist aus meiner Sicht die eindringlichste Aufgabe von Kunst.

Sie stehen schon seit 42 Jahren auf der Bühne und haben vor den unterschiedlichsten Menschen gespielt. Worin liegt ihrer Meinung nach die Kraft der Musik?

Musik ist die Weltsprache Nummer eins. Sie dringt direkt ins Herz, verbindet menschliche Seelen, formuliert wortlos menschliches Gefühl. Musik zu kreieren, gehört zu den wesentlichen Elementen, die den Menschen von anderen Lebewesen unterscheiden. Musik kann uns wärmen, kann uns aufrütteln, uns beruhigen, kann uns stärken. Musik erlaubt uns Zeitreisen – weckt unsere Erinnerungen, verlockt uns zu Visionen. Musik weckt unseren Verstand. Musik sendet Botschaften. Musik ist Heimat. Musik kann sogar Frieden bringen, wenn man den Versuch nicht scheut.

Mit Tino Eisbrenner sprach Eugen Zentner im Oktober 2022. Das Interview wurde in Ausgabe 6/22 veröffentlicht.