14. September 2022

Neues Infektionsschutzgesetz: Mahnwache, Kundgebung und Protestmarsch

Von Redaktion ViER.

Text und Fotos von Sophia-Maria Antonulas

Drei Tage lang protestierten in Berlin Tausende Bürger gegen das neue Infektionsschutzgesetz. Mehr als 30 Bundestagsabgeordnete der AfD schlossen sich nach ihrer Stimmabgabe den Protesten an.

Auf dem zugigen Platz vor dem Berliner Hauptbahnhof eilen Menschen an einem mehrere Meter hohen Plakat vorbei, auf dem in großen Lettern Artikel 20 des Grundgesetzes prangt. Die meisten werfen nur verstohlene Blicke auf den Text und das bunte Grüppchen, das an diesem sonst so unwirtlichen Ort mit mitgebrachten Stühlen, Decken und Tischen zum Verweilen einlädt.

Es ist Mittwoch, der 7. September – am darauffolgenden Tag wird der Deutsche Bundestag über das neue Infektionsschutzgesetz abstimmen. Deshalb hat das Bündnis „#Friedlichzusammen“ zu dieser 24-Stunden-Mahnwache aufgerufen. Auf den grauen Betonplatten liegt außerdem ein riesiges schneeweißes Transparent mit all den Grundgesetzartikeln, die durch die Corona-Maßnahmen eingeschränkt sind.

„Wir möchten ein Zeichen für unsere Demokratie und unsere Freiheit setzen“, erklärt Patric Vogt, der Organisator der Mahnwache. „Wir wollen über das Demokratie- und Freiheitsverständnis sprechen und miteinander ins Gespräch kommen, gern auch über Meinungsgrenzen hinweg.“ Allerdings laufen die meisten Passanten an den Grundrechtsaktivisten rasch vorbei, wohl um ihre Bahn zu erreichen, und sehen auf das Geschehen nur aus den Augenwinkeln.

24 Stunden später, am Donnerstag, 8. September, ist die Bundestagsdebatte zu den Änderungen des Infektionsschutzgesetzes voll im Gange. Vor dem Reichstag haben sich Tausende Menschen versammelt, um von Trommlern unterstützt lautstark gegen weitere Corona-Maßnahmen zu protestieren. Auf der Bühne sprechen unter anderen der Mediziner Paul Brandenburg, die Rechtsanwälte Markus Haintz und Gordon Pankalla sowie der Verleger Hendrik Sodenkamp. Sie verurteilen die Korruption der Regierung, fordern Neuwahlen, zivilen Ungehorsam und rufen die Abgeordneten dazu auf, mit Nein, also gegen das neue Infektionsschutzgesetz, zu stimmen.

Platz der Republik gleicht einem Sumpf

Währenddessen verwandelt Starkregen den Platz der Republik, auf dem der Deutsche Bundestag Haus Nummer 1 ist, in einen Sumpf – als wäre die gesamte Fläche für den Wassergraben umgewidmet, der in Zukunft die Bürger vom Reichstag fernhalten soll und für den die Bauarbeiten bereits begonnen haben.

Doch die Demonstranten lassen sich von den Wassermassen nicht unterkriegen. Und sie bekommen sogar Beistand aus dem Bundestag selbst: Mehr als 30 Abgeordnete der AfD gesellen sich zu den Protestierenden, sie wollten laut eigenen Angaben die Opposition auf der Straße unterstützen. Zuvor hatte die AfD geschlossen gegen das neue Infektionsschutzgesetz gestimmt.

Die meisten der Abgeordneten fühlen sich in der Menschenmenge wohl. Doch was sagen eigentlich die Kundgebungsteilnehmer zu dem überraschenden Beistand aus dem Parlament? „Ich finde es eine äußerst positive Geste, zumal sie sich auch unseren Fragen stellen“, erklärt ein Demonstrant und fügt hinzu: „Ich halte es inzwischen so wie einer der Redner, der ebenfalls die Programme der Parteien gelesen hat und meinte, dass er zu 70 bis 80 Prozent mit den Inhalten der AfD einverstanden ist. Das hätte ich mir vor drei Jahren nie träumen lassen, dass ich das so sehe. Und ohne große Kritik üben zu wollen: Nicht mit jemanden zu reden aufgrund einer anderen Gesinnung ist die Methode der anderen Seite.“ Eine andere Demonstrantin meint: „Wenn Parlamentarier gegen ein Scheißgesetz stimmen und danach sich einer guten Demo gerade gegen dieses Machwerk anschließen, finde ich das super.”

Aber es gibt auch Bedenken. Eine Teilnehmerin befürchtet, dass dies wieder ein Fressen für die Mainstream-Medien sei, um die Proteste weiter in die rechte Schiene zu schieben. Doch ein anderer Demonstrant erwidert: „Ich halte das Parlament nur noch für eine täuschende Fassade. Dahinter verbirgt sich ein zutiefst undemokratischer Machtapparat, der letztlich von großen Konzernen, der EU-Kommission und der NATO gesteuert wird. Ich freue mich über jeden einzelnen aufgewachten Mitbürger – ob er der AfD angehört oder diese Partei nicht so mag, spielt für mich eigentlich keine Rolle.”

Schließlich ertönt das Abstimmungsergebnis über die Lautsprecher: Das neue Infektionsschutzgesetz ist mit den Stimmen der SPD, FDP und der Grünen angenommen. Die Enttäuschung darüber ist den vielen Menschen vor dem Reichstag ins Gesicht geschrieben. Und bei einigen vermischt sich der Regen mit Tränen.

Marsch zu den Ministerien

Nichtsdestotrotz – oder besser gesagt: gerade deswegen – versammelt sich am Freitag, dem 9. September, eine noch größere Menschenmenge wieder vor dem Reichstag. Bei strahlendem Sonnenschein ziehen zwischen 4.000 und 6.000 Demonstranten, unterstützt von Trommlern und DJs, zu mehreren Ministerien, um ihre Grund- und Menschenrechte einzufordern.

Beim ersten Stopp vor dem Bundesministerium für Bildung und Forschung spricht Andreas von der Initiative „Studenten stehen auf“. Der junge Mann betont den Geist der Aufklärung sowie den Mut, den es braucht, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Die Studenten ernten viel Applaus für ihre drei Forderungen: Erstens eine wissenschaftliche Forschung, die frei von politischer, ökonomischer oder sonstiger Einflussnahme ist. Zweitens völlige Transparenz bei der Auswahl der Gutachter und der Bewilligung von Forschungsgeldern. Und drittens die Aufklärung der Vorgänge, die „zur Streichung der sozialwissenschaftlichen Projekte zu den gesellschaftlichen Auswirkungen des Maßnahmenterrors geführt haben“.

Danach zieht der Protestzug weiter zur nächsten Zwischenkundgebung vor dem Gesundheitsministerium. Für die Gruppe „Pflege mit Herz“ hält unter anderen die Intensivkrankenschwester Sabrina eine Rede, in der sie betont, dass es kein Gehalt und keine Arbeitsstelle wert seien, sich einer experimentellen Behandlung zu unterwerfen.

Und die Kinderpsychologin Heidi beschreibt, wie die UN-Kinderrechtskonvention mit Füßen getreten wird und fragt: „Wo bleibt der Kinderschutz?“ Einige der Demonstranten möchten ein Schreiben mit Forderungen überbringen, das vom Bundesministerium für Gesundheit aber nicht entgegengenommen wird.

Bei der letzten Station möchten die Bürger sichergehen, dass sie ihren Forderungskatalog abgeben können. Der Demonstrationszug ist beim Finanzministerium, beziehungsweise vor dessen Poststelle in der Mauerstraße, angekommen. Nebenan befindet sich bezeichnenderweise das Museum für Kommunikation. Gleich mehrere Polizeitransporter versperren die Sicht zur Leipzigerstraße, als sollte verhindert werden, dass die Insassen der vorbeifahrenden Fahrzeuge die protestierende Menge auch nur kurz erblicken.