Angst frisst Demokratie: Die Psychodynamik einer Massenpsychose
Autorin: Éva Péli
Der Psychoanalytiker und Psychotherapeut Hans-Joachim Maaz schließt mit dem Buch „Angst-Gesellschaft“ seine psychosozialen Analysen ab. Er ist bestürzt über die politische Fehlentwicklung in Deutschland, die er seit über 30 Jahren als psychodynamische Unvermeidbarkeit normopathischer Verhältnisse beschreibt.
„Mit der Verweigerung realitätsgerechter Diskussionen werden höchste Demokratiewerte – Grundrechte – aufgegeben. Ohne klärende Untersuchungen wird ein kollektiver Wahn gezüchtet und die Massenpsychose verhindert die Suche nach realitätsgerechten Wahrheiten.“ Diese Diagnose stellt der Psychiater Hans-Joachim Maaz in seinem neuen Buch „Angst-Gesellschaft“. Das ist ihm nach seinen Worten nicht leichtgefallen, denn „eine Psychose ist eine wirklich schwere Erkrankung“. Aber im dritten Jahr der durch die Weltgesundheitsorganisation WHO ausgerufenen Covid-19-Pandemie würden mehrere Symptome tatsächlich auf Menschen zutreffen, stellt der Arzt fest.
Mit diesem Buch ringt der Autor um Demokratie, Freiheit und persönliche Würde. „Demokratie und Freiheit sind bereits sehr eingeschränkt – wie so oft immer wieder in der Menschengeschichte; es bleibt der Kampf um Würde in schlimmen Zeiten.“ Maaz, geboren und aufgewachsen in Ostdeutschland, beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit den Fragen des psychischen Zustandes der Nation und analysiert die möglichen Gründe für die von ihm festgestellten Fehlentwicklungen.
Gespielte Demokratie
Dabei stützt er sich auf seine Erfahrung als Psychoanalytiker und Psychotherapeut und warnt seit jeher vor einer Radikalisierung. In dem aktuellen Buch zeigt er sich eher resigniert. Die schwerwiegende Diagnose stellte Maaz bereits in den früheren Büchern: Die Gesellschaft leidet unter „Normopathie“– einer pathologischen Gesellschaftsentwicklung, in der das Gestörte, das Falsche für normal gehalten wird –, weil sie von einer Mehrheit der Früh-Entfremdeten gestaltet wird.
Diese Fehlentwicklung ist aus seiner Sicht die Voraussetzung dafür, dass es „im demokratischen Deutschland“ durch die Corona-Politik zu einem Massenwahn kommen konnte. Er spricht von einer „äußerer Demokratie“. „Ein Verständnis für eine innerseelische Demokratie gibt es bis heute nicht“, so der Autor. Demokratie werde in Deutschland nur gespielt.
Unbeantwortete Fragen
Wie gefährlich ist eine Covid-19-Erkrankung wirklich? Welche Schutzmaßnahmen sind sinnvoll? Solche essenziellen Fragen bleiben im Pandemie-Wahn unbeantwortet, bedauert Maaz. Oder auch: Wie schwerwiegend – seelisch, sozial, wirtschaftlich – sind die Folgen der Anti-Corona-Verordnungen? Darüber könne er als Arzt und Publizist nicht hinwegschauen.
Zwei Themen haben ihn besonders beschäftigt: Weshalb werden die sogenannten Corona-Impfungen, aus seiner Sicht ohne Erfolg, weiter angeboten und genommen? Weshalb tragen Menschen die Maske freiwillig weiter, obwohl es weder notwendig noch weiterhin sinnvoll ist?
Wiederbelebte Frühängste
Maaz kommt zu dem Schluss, dass die Menschen in eine Angst-Falle geraten sind. Dadurch seien sie gelähmt und nicht mehr fähig, kritisch zu denken und zu Erkenntnissen zu kommen. Er differenziert und erklärt ausführlich die Ängste, die durch eine mangelhafte Frühbetreuung entstanden sind und in Krisenzeiten wie diese wieder aktiviert werden.
Diese Ängste begründen aus seiner Sicht auch die großen Unterschiede bei der Impfentscheidung. Einige ließen sich impfen, weil bei ihnen eine starke Verunsicherungs- und Bedrohungsangst aktiviert werde, die nach Sicherheit strebt und schreit. Andere würden „durch Autonomieangst, Verantwortungsangst, Autoritätsangst“ Opfer der massenpsychologischen Verlockung, dazu zu gehören – und vor allem, nicht ausgeschlossen zu werden.
Der autonome, demokratische Mensch müsse unter den nicht ausreichend begründeten Maßnahmen leiden, so der Psychiater, und sie als einen schweren Eingriff in die persönliche Würde erleben. Eine große Zahl von Psychotherapie-Patienten, die ihre frühe Traumatisierung erkannt und halbwegs verarbeitet haben, sei bezeichnenderweise bereit, für die erworbene Unabhängigkeit und Freiheit zu kämpfen. Aufgezwungene Maßnahmen und eine Impfnötigung könne bei ihnen die Frühtraumatisierung wieder beleben und größte Empörung auslösen.
Kollektive Wahnstörung
Über die Spaltung zwischen Geimpften und Ungeimpften, Maßnahmen-Befolgern und -Verweigerern sowie die Diskriminierung der Letzten ist er sehr besorgt: „Dass in Deutschland mit seiner Vergangenheit überhaupt nur der Gedanke aufkommen kann, Ungeimpfte vom sozialen Leben auszuschließen, zu bedrohen und zu diffamieren, ist für mich so ungeheuerlich, dass ich mich in meine psychiatrische Erfahrung flüchten muss, eben erneut eine kollektive Wahnstörung zu diagnostizieren, für deren forensische Beurteilung allerdings eine Exkulpation ausgeschlossen werden muss. Allein das Wissen um deutsche Geschichte verbietet die Annahme einer Schuldminderung oder gar Schuldunfähigkeit einer solch inhumanen Diskriminierung.“
Maaz führt die Entstehung des Massenwahns auf die frühkindliche Selbstentfremdung zurück, davon seien viele betroffen. Das habe massenpsychologische Folgen, denn diese Selbstentfremdung fordere eine Kompensation. Der Mensch wolle zeigen, dass er doch liebenswert und anerkannt ist. So entstehe eine narzisstische Gesellschaft.
Der Autor bringt es auf eine Formel: „Geld statt Liebe“. Für die mangelhafte Betreuung macht er das finanzkapitalistische System verantwortlich. Es fehle störungsbedingt völlig an Empathie für die wirklichen kindlichen Bedürfnisse, dagegen herrsche die irrwitzige Vorstellung, dass nur mit Anpassung ein gutes Leben möglich ist.
„Seitdem deutlich wurde, dass Impfen nicht den Erfolg bringt, heißt es Boostern bis zum Umfallen“, stellt der Psychiater fest. Und fügt hinzu: „Spätestens jetzt müssten die Verantwortlichen der Selbstentfremdung – die Eltern, Lehrer, Experten, Politiker – ihr Verhalten, ihre Schuld erkennen, sich entschuldigen, aus ihrer Verantwortung zurücktreten und Therapie in Anspruch nehmen. Natürlich undenkbar!“
Beruhigte Zukunftsangst
Laut Maaz kommt eine narzisstische Gesellschaft zwangsweise durch Profitgier in einen kritischen Zustand, in eine umfassende gesellschaftliche Krise. In der Krise gingen die wesentlichen Kompensationsmöglichkeiten, mit denen narzisstische Störungen beruhigt werden sollen – also Leistung, Geld, Anstrengung, Anerkennung – durch äußere Bedingungen verloren. Das aktiviere die ganzen früheren Ängste.
Diese neue Aktivierung der frühen Erfahrungen der Ablehnung, Lieblosigkeit, Kränkung, Mangel an Zuwendung mache furchtbare Angst, berechtigte Angst – auf diesen psychischen Nährboden treffe das Virus. Diese erzeugte Virusangst werde zu einer Pandemie hochgepuscht und biete die Möglichkeit, alle individuellen Ängste zu binden und dann auch die Zukunftsangst ersatzweise zu beruhigen. Damit werden die angebotenen Schutzmaßnahmen zu einer Rettungsillusion aufgebaut.
Und wer sich zum Impfen mit einem fragwürdigen Impfstoff überreden ließ, der werde es niemals für möglich halten, dass die Obrigkeit etwas Schlechtes angeboten haben könnte, schreibt Maaz. Diese seelische Abwehr sei so verpanzert, dass keine Einsicht, keine Wahrheit sie durchdringen könne. Protest und Kritik von anderen verhärtet aus Sicht des Autors die Abwehr noch weiter.
Notwendige Außenseiter
Das Pandemie-Narrativ wird für Maaz überzogen, propagandistisch, widersprüchlich, unlogisch, unbegründet und verlogen gepflegt. Das provoziere zwangsläufig eine Spaltung der Gesellschaft. Das Problem sieht der Autor nicht darin, dass die Infektions- und Erkrankungs- sowie die Sterbegefahr verharmlost werden, sondern dass sie übertrieben werden. Das schüre Angst.
In dem Kapitel „Waffe Verschwörungstheorie“ bezeichnet er den heutigen Gebrauch des Wortes „Verschwörungstheoretiker“ als einen „peinlich-bösen Versuch, kritische Menschen nur noch sinnbefreit abzuwerten“. Ihre Diffamierung paare sich gleich mehrfach mit Kampfbegriffen: „Da sind Verschwörungstheoretiker zugleich Esoteriker, Rechtsextreme, Reichsbürger, Antisemiten, Rassisten, Schwurbler – alles in allem nur noch Dumme, Verwirrte und ganz und gar Böse.“
Der Psychiater betont die Rolle der Außenseiter als „das Salz der Offenheit und Freiheit“ für die Gruppendynamik, die es zu jeder Zeit in jeder Gemeinschaft gibt. Sie verkörpern oder vertreten für ihn immer etwas, was eine Mehrheit nicht wahrhaben will. Er sieht sie als die Indikatoren für Fehlentwicklungen und Fehlentscheidungen. Auf sie zu hören, ermögliche Realität, rette Wahrheiten und schütze vor destruktiven Einseitigkeiten. Die Außenseiter selbst sind in aller Regel nicht die Reiferen, die Gesünderen, die Wahreren, behauptet er, „aber ihre Einseitigkeit, ihre andersartige Verstörung eröffnet einen Perspektivwechsel, liefert Erkenntnisbausteine“.
Grundsätzliches Recht
Diese von Maaz diagnostizierte „soziale Apartheid“ ist brandgefährlich und muss überwunden werden. Die angekündigten Anti-Corona-Maßnahmen ab Herbst lassen wenig Hoffnung darauf, dass die Politiker dabei helfen werden, die Gräber zwischen uns zuzuschütten. Aber jeder kann selbst damit beginnen!
Dafür leistet Maaz mit seinem Buch einen wichtigen Beitrag. Seine mutige und schonungslose Analyse der Ängste sowie die dadurch erworbenen, zuweilen schmerzhafte Erkenntnisse helfen dabei, unseren Ängsten die Stirn zu bieten, der überall lauernden Manipulation nicht ausgeliefert zu sein. Es ist menschenunwürdig, einem Staat unterworfen zu sein, in dem politisch und medial Angst geschürt wird. Erinnern wir uns: Jeder Mensch hat ein Recht, frei von Furcht zu leben.
Hans-Joachim Maaz: „Angstgesellschaft“
Verlag Frank & Timme 2022. 248 Seiten; ISBN 978-3-7329-0852-3; 18 Euro